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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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unentwirrbar scheinenden Chaos durcheinander. Nirgends fand ich einen Stützpunkt, alles war aus seinen Fugen. Nur der Wille allein war mir geblieben, aber war irgendein menschlicher Wille stark genug, solch einem tobenden Meere zuzurufen: „Ihr Wogen, legt euch?“ Ich durfte nicht denken. Ein unerträglicher Schwindel befiel mich, sooft ich mir das, was mit mir geschehen war, mit allen seinen Konsequenzen klar vorstellen, meine Lage überschauen wollte. Die Idee, daß ich aus zwei Personen bestände, daß ich ein Doppelwesen wäre, bemächtigte sich meiner als die einfachste Erklärung meines Erlebnisses.
    Ich war mir bewußt, daß ich an der Grenze des Wahnsinns stand. Wenn ich noch länger so liegenblieb, war ich verloren. Ich mußte irgendwie Zerstreuung, Ablenkung haben, wäre es auch nur durch eine körperliche Anstrengung. Ich sprang auf, kleidete mich schnell an, öffnete die Zimmertüre und eilte die Treppe hinab. Es war noch sehr früh – es dämmerte kaum –, so daß ich im unteren Stockwerk des Hauses niemand begegnete, Ich ergriff einen im Flur hängenden Hut, öffnete die Haustür, die so nachlässig geschlossen war, daß der Einbruch sicher nicht zu den Gefahren des modernen Boston gehören konnte, und befand mich draußen. Zwei Stunden lang ging oder stürmte ich vielmehr durch die Straßen der Stadt und besuchte beinahe alle Viertel, die auf der Halbinsel gelegen sind. Welche Fülle von überraschenden und verwirrenden Eindrücken ich während dieser Zeit erhielt, das kann nur ein Altertumsforscher annähernd verstehen, der einigermaßen den Gegensatz zwischen dem heutigen Boston und dem Boston des neunzehnten Jahrhunderts kennt. Als ich gestern vom Dache des Hauses aus die Stadt gesehen hatte, war sie mir gewiß fremd erschienen. Allein der allgemeine Anblick hatte mir auch nur einen allgemeinen, unbestimmten Eindruck der stattgefundenen Veränderungen hinterlassen. Welch vollständiger Umschwung sich vollzogen hatte, das wurde mir erst jetzt klar, als ich die Straßen durchwanderte. Etliche wenige Wahrzeichen der alten Stadt, die erhalten geblieben waren, verstärkten nur diesen Eindruck. Ohne sie hätte ich wähnen können, einen wildfremden Ort zu durchschreiten. Wenn jemand als Kind seine Vaterstadt verläßt und fünfzig Jahre später dahin zurückkehrt, so wird er sie gewiß in vielen Einzelheiten verändert finden. Vieles wird ihn dann überraschen, doch nichts kann ihn ganz außer Fassung bringen. Er ist sich bewußt, daß ein großer Zeitraum verflossen ist, und daß Veränderungen in der Heimat stattgefunden haben, wie solche auch in ihm selbst vorgegangen sind. Nur dunkel schwebt ihm das Bild der Stadt vor, wie er sie als Kind gekannt hat. Mir dagegen ging das Gefühl vollständig ab; daß zwischen dem Einst und Jetzt ein langer Zeitraum liege. Nach meinen Empfindungen war es erst gestern, erst vor wenigen Stunden gewesen, daß ich diese Straßen durchwandert hatte, in denen auch nicht ein Zollbreit einer vollständigen Veränderung entgangen war. Das Bild des alten Boston stand so frisch und lebendig vor meinem Geiste, daß der An blick der neuen Stadt es nicht zu verdrängen vermoch te. Das alte Boston kämpfte mit dem neuen Boston, und bald erschien mir das eine, bald das andere als die unwirkliche Stadt, die nur in meiner Einbildung bestand. Alles, was ich erblickte, war verwischt wie eine Reihe übereinander photographierter Gesichter.
    Endlich stand ich wieder vor der Türe des Hauses, aus dem ich fortgegangen war. Meine Füße mußten mich instinktiv an die Stätte meines alten Heims zurückgetragen haben, denn ich wußte selbst nicht, wie ich hierher zurückgekommen war. Für mich war das Haus nicht anheimelnder als irgendein anderer Fleck dieser Stadt, die einem fremden Geschlecht gehörte; auch seine Bewohner waren mir naturgemäß ebenso vollständig fremd wie alle anderen Männer und Frauen, die jetzt auf der Erde lebten. Wäre die Türe des Hauses verschlossen gewesen, so würde mich dies nur daran erinnert haben, daß ich darin nichts mehr zu suchen hatte, und ich wäre wieder fortgegangen. Aber die Türe gab dem Drucke meiner Hand nach, und so ging ich mit unsicheren Schritten durch den Hausflur und trat in eines der anstoßenden Zimmer.
    Ich warf mich hier auf einen Stuhl und bedeckte meine Augen mit den Händen, um nicht länger all das Fremdartige zu sehen, das mich mit Entsetzen erfüllte. Meine Seelenpein war so qualvoll und heftig, daß sie körperliche Schmerzen

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