Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
einfach ein gewöhnlicher Arbeiter. Wie Sie wohl denken, kommen jedoch derartige Fälle nicht oft vor.“
„Wenn man schon einen Beruf erwählt hat und in ihm tätig ist“, fragte ich weiter, „so muß man ihn wohl zeitlebens ausüben?“
„Das ist durchaus nicht nötig“, erwiderte Doktor Leete. „Gewiß wird nicht zu einem häufigen und launenhaften Berufswechsel ermutigt, ja ein solcher ist nicht einmal gestattet. Doch unter gewissen Bedingungen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen der gesamten Nation steht es jedem frei, zu einem Beruf überzugehen, für den er sich befähigter hält als für den zuerst gewählten. Geschieht dies, so gelten für seine Bewerbung die nämlichen Bedingungen wie für eine erstmalige Berufswahl. Unter gewissen Bedingungen und nicht allzuoft wird auch einem Arbeiter gestattet, seinem Beruf in einem anderen Landesteil nachzugehen, wenn er den Wunsch nach einer solchen Versetzung äußert. Unter der Wirtschaftsordnung des neunzehnten Jahrhunderts konnte allerdings ein unzufriedener Arbeiter seine Beschäftigung nach Belieben aufgeben. Allein tat er das, so gab er damit auch seinen Unterhalt auf und setzte seine Zukunft aufs Spiel. Wir machen die Beobachtung, daß die Zahl der Leute recht gering ist, die eine gewohnte Beschäftigung gegen eine neue austauschen wollen oder alte Freunde und Kameraden durch neue zu ersetzen wünschen. Nur die schlechteren Arbeiter verlangen einen solchen Wechsel, so oft ihn die Vorschriften gestatten. Natürlich werden jederzeit Versetzungen und Entlassungen aus der Arbeit bewilligt, die der Gesundheitszustand nötig macht.“
„Für das Wirtschaftsleben muß sich Ihr System meines Erachtens außerordentlich bewähren“, sagte ich. „Allein inwiefern berücksichtigt es die liberalen Beru fe, die Leute, die der Nation mit dem Hirn statt mit der Hand dienen? Und ohne die Kopfarbeiter können Sie doch nicht auskommen. Wie werden nun diese aus den Reihen der Land- und Industriearbeiter ausgewählt? Ich sollte meinen, es müßte eine äußerst schwierige Aufgabe sein, in dieser Beziehung die Leute zu sichten und auszuwählen.“
„Das ist es auch“, entgegnete Doktor Leete. „Die Entscheidung kann hier nur nach sorgfältigster Prüfung fallen, und deshalb überlassen wir es jedem einzelnen selbst, darüber zu bestimmen, ob er mit dem Kopfe oder mit der Hand arbeiten will. Jeder muß zunächst die dreijährige Dienstzeit als gewöhnlicher Arbeiter leisten. Ist sie zu Ende, so kann er sich nach seinen natürlichen Anlagen und Neigungen entscheiden, ob er sich in einer Kunst oder einem gelehrten Beruf ausbilden oder in der Landwirtschaft oder Industrie tätig sein will. Wenn er meint, Besseres mit dem Gehirn als mit den Muskeln leisten zu können, so ist ihm jedmögliche Gelegenheit geboten, sich klar darüber zu werden, ob die vermeintliche Anlage tatsächlich vorhanden ist, und um sie auszubilden. Wenn er wirklich befähigt ist, so kann er dann seinen Lebensberuf nach seinen Talenten wählen. Die Lehranstalten für Technik, Medizin, Bildhauerei, Malerei, Musik, Schauspielkunst, Geschichte und andere wissenschaftliche Gebiete stehen jederzeit bedingungslos allen offen, die sie besuchen wollen.“
„Sind diese Lehranstalten nicht von jungen Leuten überfüllt, die sich nur der Arbeitspflicht entziehen möchten?“
Doktor Leete lächelte überlegen vor sich hin.
„Ich versichere Sie“, sagte er, „daß der von Ihnen angedeutete Fall nicht vorkommt. Diese Anstalten sind nur für Zöglinge bestimmt, die besondere Anlagen für die dort gelehrten Gegenstände besitzen. Leute ohne diese ausgesprochenen Fähigkeiten würden es leichter finden, sogar die doppelte Anzahl Stunden in wirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten, als den Versuch zu machen, die Lehranstalten zu absolvieren. Natürlich kommt es vor, daß junge Leute sich in gutem Glauben über ihre vermeintliche Begabung täuschen. Sobald sie jedoch einsehen, daß sie den Anforderungen der Lehranstalten nicht gewachsen sind, so verlassen sie diese und kehren zur Handarbeit zurück. Damit ist nicht etwa eine Einbuße an Achtung verknüpft. Im Interesse des allgemeinen Wohles werden alle ermutigt, etwa vorhandene Talente auszubilden. Das kann aber nur durch entsprechende Versuche geschehen, die ihr Vorhandensein beweisen. Die Kunst- und Gelehrtenschulen Ihrer Zeit waren für ihr Bestehen davon abhängig, daß sie von vielen Schülern besucht wurden. In der Folge scheint es
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