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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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voraussah.“

 
14. Kapitel
Im Speisehaus
     
    Im Laufe des Vormittags hatte ein heftiger Regen eingesetzt, der ununterbrochen andauerte. Ich war daher überzeugt, daß sich die Straßen in Bächlein verwandelt haben müßten, und daß meine Gastfreunde auf ihren Plan verzichtet haben würden, das Mittagsmahl auswärts einzunehmen, wenngleich die Speisehalle in unserer nächsten Nachbarschaft liegen sollte. Ich war daher nicht wenig erstaunt, als zu Mittag die Damen in eleganter Toilette erschienen, jedoch ohne Überschuhe und Regenschirm. Warum, das ward mir klar, als wir auf die Straße traten. Ein fortlaufendes wasserdichtes Schutzdach war über das Trottoir gespannt und verwandelte es in einen hellen und vollkommen trockenen Korridor, in dem sich ein Strom von Damen und Her ren im Gesellschaftsanzug dahinbewegte. Wo sich We ge kreuzten, führten leichte, ähnlich überdachte Brücken über die Straßen. Edith Leete ging neben mir, und es schien sie als unbekannt und neu zu interessieren, als ich ihr erzählte, daß zu meiner Zeit bei schlechtem Wetter die Straßen Bostons überhaupt unpassierbar gewesen seien, wenn man sich nicht mit Regenschirm, Gummischuhen und wasserdichter Kleidung ausgerüstet habe.
    „Hatte man denn damals keine Schutzdächer für die Trottoirs?“ fragte sie.
    „Das schon“, erklärte ich, „allein sie kamen nur hier und da vor und waren meist unpraktisch, denn es war Sache des einzelnen Hausbesitzers, ob und wie er eine Bedachung herstellen lassen wollte.“
    Edith erzählte mir, daß jetzt alle Straßen in der nämlichen Weise gegen schlechtes Wetter geschützt seien, wie ich es hier sah. Die Schutzdächer würden aufgerollt, wenn man ihrer nicht mehr bedürfe. Sie gab mir zu verstehen, daß man es heutzutage für eine große Torheit halten würde, wollte man den Verkehr der Menschen durch die Witterung beeinflussen lassen.
    Doktor Leete ging vor uns und hatte einige Brocken unserer Unterhaltung aufgefangen. Er drehte sich nach uns um und sagte, der Unterschied zwischen dem Zeitalter des Individualismus und dem der Solidarität werde sehr gut durch diese Tatsache gekennzeichnet: wenn es regnete, so spannten die Bostoner des neunzehnten Jahrhunderts dreimalhunderttausend Regenschirme über ebensoviel Köpfe, die Bostoner des zwanzigsten Jahrhunderts dagegen schützten alle diese Köpfe mit einem einzigen Regenschirm.
    Während wir weitergingen, bemerkte Edith: „Sie müssen wissen, daß der Privatregenschirm meines Vaters Lieblingsbild ist, wenn er die alte Gesellschaftsordnung kennzeichnen will, unter der ein jeder nur für sich und seine Familie lebte. In unserer Gemäldegalerie befindet sich ein Bild aus dem neunzehnten Jahrhundert, das eine Menschenmenge im Regen darstellt. Jeder einzelne hält seinen Regenschirm über sich und seine Frau, so daß dieser auf die lieben Nächsten abtropft. Mein Vater meint, daß der Künstler eine Satire auf sein Zeitalter malen wollte.“
    Wir betraten nun ein stattliches Gebäude, in das sich ein Strom von Menschen ergoß. Das Schutzdach hinderte mich daran, die Fassade zu sehen, allein wenn sie der Ausstattung des Inneren entsprach, so mußte sie prachtvoll sein, denn es war noch viel schöner als das des Warenhauses, das wir am Tage zuvor besucht hatten. Meine Begleiterin sagte mir, daß die Skulpturgruppe über dem Eingang ganz besonders bewundert werde. Wir stiegen eine herrliche Treppe empor und gingen einen breiten Korridor entlang, in den viele Türen mündeten. Über der einen davon stand meines Wirtes Name; wir traten über die Schwelle und befanden uns in einem geschmackvollen Speisezimmer mit einem für vier Personen gedeckten Tisch. Die Fenster gingen auf einen weiten Hof, in dem ein Springbrunnen seinen Strahl hoch in die Luft warf, während Musik ertönte.
    „Sie scheinen hier zu Hause zu sein“, sagte ich, als wir uns zu Tisch setzten und Doktor Leete auf eine Klingel drückte.
    „Das Speisezimmer hier gehört in der Tat zu unserer Wohnung“, antwortete er, „wenn es auch von den übrigen Räumen etwas getrennt liegt. Jeder Familie unseres Bezirks steht gegen einen geringfügigen Jahreszins ein Zimmer dieser großen Speisehalle zum ausschließlichen Gebrauch zur Verfügung. Die Speisezimmer für Reisende und einzelne Personen befinden sich in einem anderen Stockwerk. Wenn wir unsere Mahlzeit hier einnehmen wollen, so melden wir dies den Abend vorher an und wählen die Gerichte aus, die wir zu haben wünschen. Die Zeitungen

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