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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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der Keim dieser Ihrer Einrichtung vorhanden, aber es war eben doch nicht mehr als ein Keim.“

 
18. Kapitel
Muße und Sport
     
    Nachdem sich die Damen an jenem Abend zurückgezogen hatten, blieb ich noch einige Zeit mit Doktor Leete beisammen. Unsere Unterhaltung drehte sich um die Folgen der Bestimmung, daß die Bürger nach vollendetem fünfundvierzigsten Lebensjahr von der Arbeitspflicht im Dienste der Nation befreit waren. Anlaß dazu gaben Doktor Leetes Mitteilungen über den Anteil, den die in Ruhestand getretenen Bürger an den Staatsgeschäften nahmen.
    „Mit fünfundvierzig Jahren“, sagte ich, „ist der Mensch kräftig genug, um noch zehn Jahre körperlich und zweimal zehn Jahre geistig tätig zu sein und Beachtenswertes zu leisten. In diesen Jahren verabschiedet und auf das Altenteil gesetzt zu werden, muß von energischeren Naturen eher als eine Härte denn als eine Gunst empfunden werden.“
    „Mein lieber Herr West“, rief Doktor Leete aus, während ein gutmütiges Lächeln über seine Züge flog. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie interessant diese Anschauungen aus dem neunzehnten Jahrhundert für uns sind, wie ganz seltsam sie uns heute berühren! So erfahren Sie denn, Sie Kind eines anderen und doch des nämlichen Geschlechts, daß wir keineswegs der Meinung sind, den wichtigsten, interessantesten und würdigsten Gebrauch von unseren Kräften zu machen, wenn wir nur die Arbeit leisten, durch die jeder zu sei nem Teil dazu beitragen muß, der Gesamtheit der Nati on die Mittel einer angenehmen Existenz zu sichern. Uns gilt diese Art Arbeit als eine von der Notwendigkeit auferlegte Pflicht, die wir erfüllt haben müssen, ehe uns ein Recht zusteht, uns ganz einer höheren Betätigung unserer Kräfte hinzugeben, geistigen und seeli schen Genüssen und Bestrebungen, die allein das wah re Leben ausmachen. Gewiß ist alles mögliche geschehen, um der Arbeit den Charakter des Lästigen und Beschwerlichen zu nehmen. Man hat die Arbeitslasten gerecht verteilt, alle Mittel aufgeboten, die unsere Arbeit anziehend gestalten, unseren Eifer herausfordern und anfeuern können. Ja, man hat tatsächlich erreicht, daß die Arbeit meist als Anregung und nur im relativen Sinne als eine Last empfunden wird. Trotzdem ist es nicht unsere Arbeit, es ist die höhere und umfassendere Betätigung unseres Wesens, der wir uns nach erfüllter Pflicht hingeben können, die uns als Hauptzweck des Daseins gilt.
    Natürlich ist nicht jeder meiner Zeitgenossen, ja nicht einmal ihre Mehrheit von den wissenschaftlichen, künstlerischen, schriftstellerischen Interessen beseelt, die einzelnen Bürgern die Muße als eines der wertvollsten Lebensgüter erscheinen lassen. Für viele ist die letzte Hälfte ihres Lebens in der Hauptsache eine Zeit, in der sie sich Genüssen anderer Art hingeben können. Sie unternehmen Reisen, pflegen den geselligen Verkehr mit ihren Jugendfreunden und früheren Arbeitsgenossen, gehen ihren persönlichen Neigungen und Liebhabereien nach und leben auf alle nur denkbare Art ihrer Erholung. Mit einem Wort: die Jahre nach Ablauf der wirtschaftlichen Dienstpflicht sind ihnen eine Zeit des ruhigen und ungestörten Genusses aller Güter und Annehmlichkeiten des Lebens, die sie selbst haben schaffen helfen. Allein wie unendlich verschieden wir auch unsere Muße nach unseren persönlichen Neigungen anwenden, so stimmen wir doch alle in dem einen überein: unserer Dienstentlassung sehen wir alle als der Zeit entgegen, in der wir erst zum vollen Genuß unseres angeborenen Rechts kommen, wo wir erst wirklich unsere Großjährigkeit erreicht haben und allen Zwangs und aller Aufsicht ledig werden; wo wir den Lohn unserer Arbeit genießen, der gleichsam in uns selbst angelegt worden ist. Wie die jungen Leute Ihrer Zeit kaum das einundzwanzigste Jahr erwarten konnten, so sehnen wir heutzutage mit Ungeduld das fünfundvierzigste herbei. Mit einundzwanzig Jahren werden wir Männer, mit fünfundvierzig Jahren erhalten wir eine neue Jugend zurück. Als die beneidenswerteste Zeit des Lebens gilt uns nicht mehr die Jugend, sondern das reifere Lebensalter, ja sogar das Greisenalter, das heißt die Jahre, die Sie als solches zu bezeichnen pflegten. Dank den heutigen besseren Existenzbedingungen, dank vor allem der völligen Sorgenfreiheit naht sich heute das Greisenalter viele Jahre später und zeigt ein weit freundlicheres Gesicht als in vergangenen Zeiten. Leute von gewöhnlicher Konstitution werden gewöhnlich

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