Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
ernennt jedes Jahr die nötigen Richter aus der Reihe der Bürger, die die Altersgrenze für die Dienstpflicht erreicht haben. Die Zahl der Ernannten ist sehr klein, und die Ehre, Richter zu sein, gilt für eine so hohe, daß sie die Verlängerung der Dienstpflicht reichlich aufwiegt. Deshalb kommt es auch nur in den allerseltensten Fällen vor, daß jemand von seinem Recht Ge brauch macht, seine Ernennung abzulehnen. Der Richter wird auf die Dauer von fünf Jahren ernannt, nach Ablauf seiner Amtszeit kann er seinen Posten nicht zum zwei tenmal bekleiden. Die Mitglieder des ‚Höchsten Ge richtshofes’, der über die Verfassung zu wa chen hat, werden aus der Zahl der gewöhnlichen Richter gewählt. Ist ein Sitz im Höchsten Gerichtshof frei geworden, so ist seine Besetzung die letzte Amtshandlung der Richter, deren Tätigkeit im Jahre abläuft. Aus der Mitte ihrer noch weiteramtierenden Kollegen wählen sie für den hohen Posten den Mann, der ihnen als der berufenste hierfür erscheint.“
„Da es bei Ihnen keine Wirkungsgebiete gibt, in denen sich die Richter auf ihr Amt vorbereiten können, so treten sie es sofort an, nachdem sie die juristische Fakultät hinter sich haben?“ fragte ich.
„Eine juristische Fakultät gibt es bei uns gar nicht“, erwiderte Doktor Leete lächelnd. „Die Rechtskunde hat aufgehört, eine besondere Wissenschaft zu sein. Die alte, unnatürliche und verschrobene Gesellschaftsordnung machte ein ausgebildetes, kasuistisches Rechtssystem zur Notwendigkeit, das seinerseits wiederum der Auslegung bedurfte. Bei der neuen sozialen Ordnung dagegen haben nur einige wenige Rechtssätze Geltung, die ganz klar und einfach sind. Alle Beziehungen der Menschen untereinander sind unvergleichlich einfacher geworden, als sie zu Ihrer Zeit waren. Wir wüßten wirklich nicht, was wir mit haarspaltenden Juristen anfangen sollten, wie sie in Ihren Gerichtssälen präsidierten, plädierten und argumentierten. Meinen Sie jedoch nicht, daß wir diese alten, würdigen Herren nicht genug respektieren, weil wir ihrer nicht mehr bedürfen. Im Gegenteil, wir bringen ihnen aufrichtige Hochachtung, ja fast ehrfurchtvolle Scheu entgegen. Sie waren es ja allein, die Kenntnisse und Scharfsinn genug besaßen, um die unendlich verwickelten Fragen des Privateigentums, des Handels- und Schuldrechts und so weiter zu entwirren, Fragen, die mit Ihrer Gesellschaftsordnung unvermeidlich verknüpft waren. Nichts spricht beweiskräftiger für die unendlich verwickelten Beziehungen und die Unnatur Ihrer sozialen Ordnung als diese Tatsache: zu Ihrer Zeit war es eine Notwendigkeit, daß die Blüte der Intelligenz einer jeden Nation allen sonstigen Beschäftigungen entzogen und zu einer gelehrten Zunft ausgebildet wurde, der es mit Mühe und Not gelang, das geltende Recht für jene einigermaßen verständlich zu machen, über deren Schicksal es entscheiden sollte. Die Abhandlungen Ihrer großen Rechtsgelehrten, die Werke eines Blackstone, Chitty, Story und Parsons stehen in unseren Bibliotheken neben den Bänden von Duns Scotus und anderen Scholastikern. Die einen wie die anderen sind uns wunderliche Denkmäler menschlichen Scharfsinns, der an Gegenstände verschwendet wurde, die gleicherweise den Interessen der neuzeitlichen Geschlechter völlig fern liegen. Unsere Richter sind lediglich wohlunterrichtete, scharfsinnige und gewissenhafte Männer von reiferem Alter.
Ich darf nicht unterlassen, kurz eine wichtige Aufgabe unserer gewöhnlichen Richter zu erwähnen“, fuhr Doktor Leete fort. „Sie haben in allen Fällen zu entscheiden, in denen ein einfacher Arbeiter sich über ungebührliche Behandlung durch seine Vorgesetzten beschwert. Klagen dieser Art werden einem Einzelrichter zur Untersuchung und Entscheidung überwiesen, gegen dessen Urteil keine Berufung eingelegt werden kann. Nur bei besonders schweren Fällen amtieren drei Richter.“
„Ihre Wirtschaftsordnung macht allerdings eine Rechtsprechung bei solchen Beschwerden notwendig“, bemerkte ich. „Unter ihr kann ja kein Arbeiter wegen schlechter Behandlung seinen Posten verlassen, wie ihm dies zu meiner Zeit möglich war.“
„Sie irren sich. Auch bei uns steht ihm das natürlich frei“, erwiderte Doktor Leete. „Ein Arbeiter ist stets sicher, Gehör, Recht und Gerechtigkeit zu finden, wenn er von seinem Vorgesetzten unterdrückt wird. Bleiben jedoch seine Beziehungen zu seinem Werkführer oder Obermeister unerquicklich, so kann er auf seinen Antrag hin
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