Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
erwiderte ich, „hätten wir geglaubt, durch diese unser Wirtschaftsleben schwer zu schädigen. Die Knaben der ärmeren Klassen begannen gewöhnlich mit dem vierzehnten Lebensjahr zu arbeiten, wenn nicht noch früher, und mit dem zwanzigsten verstanden sie bereits ihren Beruf.“
„Wir würden entschieden bestreiten, daß Sie dadurch auch nur einen materiellen Gewinn erzielt hätten“, erwiderte Doktor Leete. „Die Zeit, die für eine gute Erziehung erforderlich ist, wird schon binnen kurzem aufgewogen durch die größere Tüchtigkeit, die eben diese Erziehung bei jeder Arbeit verleiht, höchstens die allergröbsten Verrichtungen davon ausgenommen.“
„Wir hätten auch noch etwas befürchtet“, wendete ich ein. „Nämlich, daß eine höhere Bildung, die in trefflicher Weise auf gelehrte Berufe vorbereitet. Abneigung gegen jede harte körperliche Arbeit hervorrufen müßte.“
„Nach allem, was ich gelesen habe, war das tatsächlich die Wirkung höherer Bildung zu Ihrer Zeit“, entgegnete der Doktor. „Und das war wahrhaftig kein Wunder! Mit Handarbeit den Lebensunterhalt erwerben, bedeutete ein Hinabsinken zu einer rohen, ungebildeten Klasse. Jetzt gibt es keine solche Klasse mehr. Die geäußerte Befürchtung war also für Ihre Zeit begreiflich, und dies um so mehr, als es für selbstverständlich galt, daß alle höher Gebildeten entweder einen gelehrten oder künstlerischen Beruf ergriffen oder aber in müßigem Wohlleben dahinvegetierten. Gewiß kam es vor, daß sich jemand eine höhere Bildung aneignete, der weder reich war, noch zu den bevorrechteten Schichten der Gesellschaft gehörte. Jedoch wurde das meist als Beweis dafür betrachtet, daß der Mann seinen Beruf verfehlt oder Schiffbruch im Leben erlitten habe; seine Bildung war eher ein Gegenstand des Tadels als des Lobes. Heutzutage dagegen wird die beste Erziehung als unerläßliche Bedingung für die Lebenstüchtigkeit eines jeden angesehen, ganz gleich, welchen Beruf er ausübt. Damit ist auch Ihre Schlußfolgerung hinfällig geworden.“
„Trotz alledem“, bemerkte ich, „vermag auch die vorzüglichste Erziehung nicht, angeborenen Stumpfsinn zu überwinden oder dem Mangel an geistiger Begabung abzuhelfen. Wenn sich nicht seit meiner Zeit bis heute die durchschnittliche geistige Befähigung bedeutend gehoben hat, so wird die höhere Erziehung an einem großen Teil der Bevölkerung ziemlich unnütz verschwendet bleiben. Wir waren der Ansicht, daß die Erziehung sich nur lohnen könne, wenn der Geist eine gewisse Empfänglichkeit für ihre Einwirkungen besit ze, genau so, wie der Boden eine natürliche Fruchtbarkeit haben muß, wenn er die Kosten seiner Bebauung einbringen soll!“
„Ah“, sagte Doktor Leete, „es freut mich, daß Sie gerade dieses Beispiel gewählt haben. Auch ich möchte es nämlich gebrauchen, um Ihnen die neuere Auffassung über Erziehung recht klar zu veranschaulichen. Sie behaupten, daß ein Stück Land nicht bestellt wird, wenn es so unfruchtbar ist, daß sein Ertrag die Kosten seiner Bearbeitung nicht deckt. Nichtsdestoweniger hat man sowohl in Ihrer wie in unserer Zeit gar manches Eckchen Grund und Boden bearbeitet, dessen Erzeugnisse die aufgewendete Mühe nicht aufwogen. Ich denke an Gartenanlagen, Parks, Rasenplätze und überhaupt Ländereien, die unser Auge beleidigen und der Umgebung lästig sein würden, ließe man sie von Dornen und Unkraut überwuchern. Man pflegt sie daher lieber, und wenn ihr Ertrag auch nur ein geringer ist, so gibt es doch keinen Grund und Boden, dessen Bebauung – das Wort im weiteren Sinne genommen – sich besser lohn te. Das nämliche gilt von den Männern und Frauen, mit denen uns unsere sozialen Beziehungen zusammenführen, deren Sprache tagtäglich an unser Ohr tönt, deren Verhalten in mannigfaltigster Weise unser Wohlbefinden beeinflußt, die tatsächlich ebenso zu unseren Lebensbedingungen gehören wie die Luft, die wir atmen, oder die Elemente, von denen unser Sein abhängt. Wären wir wirklich außerstande, jedem eine vortreffliche Erziehung zuteil werden zu lassen, so sollten wir sie doch wenigstens gerade den gröbsten und stumpfsinnigsten und nicht den empfänglichsten Naturen sichern. Wer von Natur begabt und entwicklungsfähig ist, der kann weit eher ohne Erziehung tüchtig werden als der minder glücklich Veranlagte.
Wir würden – um einen in Ihren Tagen oft gehörten Ausdruck zu gebrauchen – das Leben nicht für lebenswert halten, wenn wir gleich den
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