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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
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wenigen Gebildeten Ihrer Zeit inmitten einer Bevölkerung leben müßten, die unwissend, roh und grob wäre, mit einem Wort: inmitten einer unerzogenen Bevölkerung. Kann sich jemand unter einer übelriechenden Menge nur darum wohl fühlen, weil er sich selbst parfümiert hat? Könnte es jemandem mehr als eine sehr kleine Befriedigung gewähren, einen Palast zu bewohnen, dessen sämtliche Fenster auf stinkende Höfe hinausgehen? Das aber war zu Ihrer Zeit die Lage jener, denen das Schicksal gute Erziehung und feine Bildung vergönnt hatte. Ich weiß, daß damals die Armen und Unwissenden die Reichen und Gebildeten beneideten; Allein uns scheint es, daß die letzteren wenig besser daran waren als die ersteren, mußten sie doch inmitten von Unbildung und Roheit leben. Der Gebildete Ihrer Zeit glich jemand, der bis an den Hals in einem ekelhaften Morast steckte und sich damit tröstete, daß er sich ein Riechfläschchen unter die Nase hielt. Vielleicht verstehen Sie jetzt, wie wir die Frage einer allgemeinen höheren Bildung auffassen. Nichts ist für jeden so wichtig, als kluge, verständige und wohlerzogene Nachbarn zu haben. Nichts von allem, was die Nation für uns zu tun vermag, kann daher mehr zur Erhöhung unseres eigenen Glücks beitragen, als wenn sie unsere Mitmenschen zu gebildeten Leuten erzieht. Unterläßt sie das, so verliert unsere eigene Bildung die Hälfte ihres Werts, und viele durch sie erworbene feinere Regungen und Bestrebungen werden zu einer Quelle der peinlichsten Gefühle.
    Was denn mußte die Folge davon sein, daß man zu Ihrer Zeit zwar einigen die höchste Bildung gab, die Massen aber völlig unerzogen ließ? Es bildete sich eine so tiefe Kluft zwischen den Menschen, daß fast zwei verschiedene Rassen heranzuwachsen schienen, zwischen denen eine Verständigung immer unmöglicher wurde. Gibt es eine unmenschlichere Folge davon, daß die Bildung nur das Vorrecht einiger weniger war! Auch wenn alle die gleiche Erziehung genießen, bleiben doch die Unterschiede in der Begabung ebenso scharf ausgeprägt bestehen wie im Naturzustand; allein die Bildung erhöht beträchtlich das geistige Niveau der minder Begabten und beseitigt die Roheit.
    Alle haben bei uns eine Ahnung von der Bedeutung der Wissenschaften, einiges Verständnis für geistige Interessen und Bewunderung für die höhere Bildung, die sie selbst nicht zu erringen vermochten. Alle – der eine mehr, der andere weniger – sind fähig geworden, die Freuden und Anregungen eines verfeinerten sozialen Lebens zu genießen und selbst ihr Teil dazu beizutragen. Die gebildete Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts glich wenigen mikroskopisch kleinen Oasen inmitten einer ungeheuren Wüste. Die Zahl derer, die geistiger Interessen und veredelten Lebensgenusses fähig waren, stellte nur einen unendlich winzigen Bruchteil der Gesamtheit Ihrer Zeitgenossen dar. Bei einer allgemeinen Einschätzung des Kulturzustandes der damaligen Gesellschaft war es gar nicht der Mühe wert, ihn in Betracht zu ziehen. Eine einzige Generation der heutigen Welt bedeutet mehr geistiges Leben als fünf Jahrhunderte in der Vergangenheit.“
    „Es gibt noch einen anderen Umstand“, fuhr Doktor Leete fort, „den ich erwähnen sollte, wenn ich die Gründe aufzähle, weshalb alle das gleiche Anrecht auf die beste Erziehung haben müssen: der Anspruch des kommenden Geschlechts auf gebildete Eltern. Um mich kurz zu fassen, so sind drei Hauptgründe für unsere Erziehung maßgebend: erstens das Recht jedes Menschen auf die vollkommenste Erziehung, die ihm die Nation gewähren kann, und zwar um seiner selbst willen, als einer Vorbedingung für sein Glück. Zweitens das Recht seiner Mitbürger auf seine Erziehung, als einer Vorbedingung dafür, daß sie sich des Zusammenlebens mit ihm freuen können. Drittens das Recht der Ungeborenen, daß ihnen gebildete und verständnisvolle Eltern verbürgt werden.“
    Ich will keine Einzelheiten über die Schulanstalten berichten, die ich an jenem Tag besuchte. Da ich mich in meinem früheren Leben nicht viel für das Erziehungswesen interessiert hatte, so könnte ich nur wenig beachtenswerte Vergleiche zwischen dem Sonst und Jetzt anstellen. Davon abgesehen, daß sowohl die höheren wie die niederen Bildungsanstalten allen offen standen, fiel mir am meisten die große Bedeutung auf, die man der körperlichen Ausbildung beilegte. Fertigkeit in allen Leibesübungen war ebenso maßgebend für die Beurteilung der jungen Leute wie ihre

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