Ein Sarg für zwei
Hineinsteigern war gar nicht gut.
»Wieso
sollte ich ihr erzählen, dass du erstochen worden bist, wenn sie doch nicht
einmal weiß, dass du ein Vampir bist?«, fragte er, während wir uns der
Eingangstür näherten, die mit einem voluminösen Adventskranz geschmückt war.
»Ich sag’s
ja nur«, erklärte ich. Ich griff nach der Türklingel, doch Thierry hielt meinen
Arm fest.
»Sarah, ich
weiß, dass du es satt hast, dass ich das ständig sage, aber jedes Mal, wenn wir
Toronto und unsere gewohnte Umgebung verlassen, setzen wir uns großer Gefahr
aus. Selbst hier.«
»Ich weiß.«
Diesmal war es mir bewusster als je zuvor. Meine Brust schmerzte immer so sehr,
als säße ein Elefant in Form eines Holzpflocks darauf. Selbst beim Atmen hatte
ich Schmerzen. Auch Vampire atmeten gern regelmäßig ein und aus, deshalb war
dieser Schmerz ein bisschen nervig. Aber ich existierte noch, würde das Beste
daraus machen und alles war in Ordnung. Oder so ähnlich.
Ich streckte
erneut die Hand nach dem Klingelknopf aus, doch bevor ich ihn drücken konnte,
wurde schon die Haustür aufgerissen.
»Süße!«
Meine Mutter breitete die Arme aus und umarmte mich herzlich. »Ich bin ja so
froh, dich zu sehen!«
»Ich
genauso, Mama.« Ich lächelte. Sie roch nach frisch gebackenen Keksen mit
Schokosplittern. »Okay, wer ist noch da?«
Sie sah ein
bisschen schuldig aus. »Nun, Liebling, du kommst so selten, dass ich dachte,
ich muss das ausnutzen. Ein paar deiner Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen.
Ich habe versucht, kein großes Aufhebens darum zu machen.«
Ein
Familientreffen. Und das in zehn Minuten?
»Großartig«,
sagte ich so begeistert, wie es nur ging.
Thierry
stand schweigend neben mir. Ich löste mich von meiner Mutter und sah ihn an.
»Mom, ich
möchte dir Thierry vorstellen.«
Ihr Blick
wanderte höflich die mehr als 180 hinreißenden Zentimeter hoch zu seinem
Gesicht, bei dessen Anblick jede Frau ungeachtet ihres Alters weiche Knie
bekam. Er hatte einfach diese Wirkung. Nur weil sich manche Leute an seiner
kühlen, gleichgültigen Art stießen, hieß das nicht, dass er eine Zumutung fürs
Auge war. Das hatte Amys von mir frisch entdeckte Verliebtheit bewiesen.
»Es ist mir
ein Vergnügen, Sie kennenzulernen«, sagte er.
»Und wie
lautet Ihr Nachname, Thierry?«, wollte sie wissen.
»De
Bennicœur.«
»Gott, das
ist ja ein ganz schöner Zungenbrecher, was? Ist das Französisch? Italienisch?«
»Französisch.«
»Französisch-Kanada?
Sind Sie aus Quebec?«
»Nein.«
Sie
blinzelte verwirrt und strich sich die dunklen Haare zurück. Die Geste kannte
ich. Mom war nervös. »Aber Sie haben ja gar keinen Akzent.«
»Ich bin
bereits vor sehr langer Zeit nach Nordamerika gekommen.«
»Und Sie
sprechen Französisch?«
»Ja. Ich
spreche mehrere Sprachen.«
»Ja, also.«
Fürs Erste zufriedengestellt trat sie einen Schritt zurück. »Bitte, lasst eure
Schuhe gleich hier.« Sie deutete mit dem Kopf auf einen riesigen Stapel
schmutziger, schneenasser Schuhe. »Und dann kommt herein, um den Rest von uns
zu begrüßen. Möchtet ihr ein Glas Wein?«
»Ja«, sagte
ich halbherzig. Wieso hatte ich diese Begrüßung als das Peinlichste empfunden,
das ich je erlebt hatte? Vor allem für Thierry.
Er schien
sich ganz offensichtlich nicht wohl zu fühlen.
»Wir können
sofort wieder verschwinden!«, flüsterte ich ihm zu, als wir durch den kurzen
Flur zum Wohnzimmer gingen.
Er
schüttelte den Kopf und drückte meine Hand. »Alles in Ordnung. Es ist mir eine
Ehre, deine Familie kennenzulernen, Sarah.«
Heute
sammelte er echt kräftig Pluspunkte.
Im
Familienzimmer drückte man uns beiden ein großes Glas Baby-Duck-Schaumwein in
die Hand, das Lieblingsgesöff der Familie Dearly, und Thierry wurde meiner
gesamten Verwandtschaft vorgestellt, das heißt allen, die im Umkreis von
hundert Meilen lebten. Drei Onkels, fünf Tanten, sieben Cousins und Cousinen,
inklusive meiner Cousine Missy, die schnurstracks auf mich zustürzte.
»Sarah!« Sie
umarmte mich liebevoll. »Ach mein Gott, es ist so schön, dich zu sehen.«
»Dich
ebenso.« Ich lächelte sie mit geschlossenem Mund an. »Wie ist es so,
verheiratet zu sein?«
»Fantastisch
... oder sollte ich zahntastisch sagen? Könnte gar nicht besser sein.«
Ich blickte
hinüber zu ihrem neuen Ehemann Richard, der gerade in eine hitzige Debatte mit
meinem Onkel Charlie verstrickt war. Ich nahm an, dass es ums Fischen ging,
denn das war Onkel Charlies Lieblingsthema. Richard hob
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