Ein Sarg für zwei
Vampirklischees, und mir fiel noch eines ein.
Die
Fähigkeit, sich in eine Fledermaus zu verwandeln.
Ich hob eine
Braue. Das wiederum könnte interessant werden.
Ich kippte
noch ein Glas B-Positiv herunter, schloss die Augen und konzentrierte mich.
Nach ein paar Sekunden machte ich die Augen wieder auf und blickte auf meine
Hände, doch es waren immer noch Hände, keine kleinen Krallen am Ende von
lederartigen Flügeln.
Ein Klischee
konnte ich also von der Liste streichen. Keine Gestaltwandler-Fähigkeiten.
Als mir auf
einmal das bekannteste Vampirklischee einfiel, an das ich genauso - abgesehen
von der ganzen Sache mit dem Bluttrinken - geglaubt hatte, erstarrte ich.
Vampire
waren böse.
Aber ich war nicht böse. Ich fühlte mich nicht böse. Erleichtert atmete ich aus.
Offensichtlich war ich außer der Fledermaussache auch um die Bösartigkeit
herumgekommen.
Gott sei
Dank.
Andererseits
dachte Stacy aber, ich sei böse, oder etwa nicht? Das war doch der Grund, aus
dem sie mich überhaupt verflucht hatte. Weil sie sich an mir rächen wollte.
Ich
schlenderte durch die Bar und ging in Thierrys Büro. Ich schloss die Tür hinter
mir, so dass der Lärm und die Musik vom Club gedämpft wurden.
Ich setzte
mich hinter Thierrys Schreibtisch und betrachtete die vier Jahrbücher vor mir.
Ich
erinnerte mich an die Oberschule als vier finstere Jahre mit gelegentlichen
Schulpartys. Dann folgte noch ein finsteres Jahr an der Universität, bevor ich
beschloss, dass die Schule und ich uns im Guten trennen sollten. Klar, da war
diese ganze Cheerleader-Geschichte, aber das war nichts Besonderes gewesen.
Offensichtlich war ich nicht mal besonders gut. Nachdem ich die Universität
verlassen und die Schauspielerei aufgegeben hatte, hatte ich versucht, Cheerleader
bei den Toronto Raptors zu werden, aber die Mädchen dort waren professionelle
Bommelschwenker. Ich dagegen kam aus der Kleinstadt. In jeder Hinsicht. Ich
hatte nicht einmal die Vorauswahl überstanden.
Ich schlug
mein ältestes Jahrbuch auf und lächelte über die Beschreibungen meiner alten
Freunde, die es bis auf Claire nicht für nötig gehalten hatten, zum
Schultreffen zu kommen. Irgendjemand hatte mit einem blauen Kugelschreiber eine
beträchtliche Anzahl der Lehrerbilder mit Schnurrbärten und Teufelshörnern
bemalt. Das dürfte ich gewesen sein. Das soll allerdings kein Geständnis sein.
Es gab ein
Bild von dem Komitee des Abschlussballs. Ich hatte nicht dazugehört. Die
Theatergruppe. Ich stand in der hinteren Reihe und machte einer Freundin
Hasenohren. Ein Schnappschuss von meinem Bein in Aktion, aufgenommen bei einem
Basketballspiel, bei dem ich von der Spitze der Cheerleader-Pyramide gefallen
war. Ich hatte eine kleine Narbe zurückbehalten, weil mein Knie zufällig die
Zahnspange eines anderen Mädchens gerammt hatte.
Da - ein
Bild von der ganzen Gruppe. Sechs Spielerinnen plus drei
Ersatz-Cheerleaderinnen lächelten glücklich in die Kamera. Ich schüttelte den
Kopf. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich eigentlich eine Menge Spaß mit
den Mädchen gehabt. Durch die Gruppe waren wir automatisch beliebter gewesen
als die anderen. Und die Jungs gingen lieber mit uns aus, egal ob es die aus
der Football- oder Basketballmannschaft waren. Im letzten Jahr hatte ich eine
ziemlich feste Beziehung mit einem Jungen aus der Basketballmannschaft. Er
hatte mir kurz vorm Abschlussball einen Antrag gemacht. Ich glaube, meine
genaue Antwort hatte gelautet: »Heiraten? Du machst wohl Witze?«
Unglücklicherweise
hatte er keinen Witz gemacht.
Das war das
Ende unserer Beziehung gewesen, was vermutlich das Beste war, weil ich nicht im
Geringsten in ihn verliebt gewesen bin. Dann bin ich mit Stacys angeblich so
großer Liebe Jonathan zum Abschlussball gegangen.
Ich
blätterte weiter zum Foto der Footballmannschaft. Da war das fragliche
Liebesobjekt. Immer noch genauso süß, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber
meine Erinnerung an ihn war weniger positiv. Er hatte vorgehabt, mir auf dem
Rücksitz der Limousine mein teures Abschlusskleid vom Körper zu reißen, statt
tatsächlich mit mir auf den Ball zu gehen.
Ich kann
mich erinnern, dass ich ihm ziemlich heftig das Knie in die Leiste gerammt
habe.
Für dieses
Vergnügen musste ich die Limousine bezahlen, während er ins Krankenhaus
gefahren wurde.
Ach ja,
Erinnerungen.
Ich runzelte
die Stirn, als ich die süßen Jungs in ihren Footballtrikots betrachtete. Doch
da, da stand noch jemand hinter ihnen. Ich
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