Ein Sarg für zwei
starrte auf das unscharfe
Schwarzweißfoto. Ich war nicht ganz sicher, aber dort im Hintergrund, das war
wohl Stacy.
Gruselig.
Ich
blätterte weiter zu meiner Klasse und fuhr mit dem Finger die Seite hinunter.
Da war ich. Sarah Dearly. Für immer im Jahrbuch festgehalten als das Mädchen,
das auf Fotos am liebsten die Augen geschlossen hielt.
Ich
blätterte ein paar Seiten weiter zu ›M‹. Dort starrte mich Stacy mit demselben
eisigen Blick an, mit dem sie mich auf der Toilette beim Schultreffen bedacht
hatte.
Ihre Augen
waren das Einzige, das ich erkannte. Der Rest von ihr war total anders. Die
rachsüchtige Frau im Waschraum war eine zierliche, vollbusige Blondine gewesen,
die für ihre langen Beine einen Waffenschein brauchte. Sie war teuer gekleidet,
hatte Designerschuhe getragen und war absolut sorgfältig, wenn auch zu stark
geschminkt gewesen. Außerdem roch sie nach teurem Parfüm.
Das Mädchen
auf diesem kleinen Schwarzweißfoto hatte, bis auf die Augen, nicht die
geringste Ähnlichkeit mit ihr. Ihr dunkles, fettiges Haar hatte sie mit Spangen
gebändigt, ihr finsteres Gesicht war von Pickeln übersät, die vermutlich auch
in den Falten ihrer Doppelkinne sprossen. Und sie lächelte nicht.
Doch das
absolut Schrecklichste an ihrem Foto war, dass dieses Bild der jungen Stacy
McGraw meine Erinnerungen zurückbrachte und all diese Dinge aus meinem
Unterbewusstsein grub, die ich zehn lange Jahre verdrängt hatte.
Ich kaute
auf meiner Unterlippe. Ja, ich hatte sie gekannt. Nicht gut natürlich, aber ich
erinnerte mich an sie. Wir hatten ein paar Kurse zusammen gehabt. Sie war eine
Einzelgängerin gewesen, und ich konnte mich nicht daran erinnern, dass sie eine
einzige Freundin gehabt hätte.
Ein Schauer
überlief mich. O nein!
Der Tag, an
dem ich mich von meinem Freund getrennt hatte, war weitaus traumatischer
gewesen, als ich es hatte wahrhaben wollen. Er hatte meine Zurückweisung nicht
sonderlich gut aufgenommen und hatte mir eine ziemlich peinliche Szene in der
Eingangshalle gemacht, die mir echt die Laune vermiest hatte.
Ausgerechnet
an diesem Tag fanden die Cheerleader- Aufnahmeprüfungen statt. Wir wollten eine
Gruppe für den Sommer zusammenstellen, denn auch in den Sommerferien würden ein
paar Spiele stattfinden. Abottsville war zwar ziemlich langweilig, denn es gab
weder Multiplex- Kinos noch Einkaufspassagen - aber wir hatten eine Menge
Sportplätze und -hallen: Basketball, Baseball, Football.
Stacy war
eines der Mädchen gewesen, die sich beworben hatten. Ich war müde, wütend und
insgesamt vom Leben genervt gewesen. So hatte ich ihr in deutlichen Worten
klargemacht, dass sie nicht unsere Zeit verschwenden sollte. Ich konnte mich
nicht mehr an meine genauen Worte erinnern, aber es war nicht nett gewesen, und
es hatte etwas mit ihrem Aussehen zu tun gehabt. Ihrem Gewicht. Ihrem Gesicht.
Ich hatte einige Grässlichkeiten von mir gegeben, weil ich mich grässlich
gefühlt hatte.
Ich spürte
es mit einer Klarheit wie selten zuvor ...
Ich hatte
ihr die dunkle Seite von Sarah Dearly gezeigt.
Danach
schien meine schlechte Laune verpufft zu sein. Offenbar hatte ich den Tag
irgendwie herumgebracht und alles andere vergessen.
Im Gegensatz
zu Stacy McGraw. Die hatte es nicht vergessen. Niemals. Meine verletzenden
Worte hatten all die Jahre in ihr gegärt, und wenn man dann noch bedachte, dass
ich mit ihrer heimlichen Liebe zum Abschlussball gegangen war, war es kein
Wunder, dass sie mich abgrundtief hasste.
Und jetzt
war sie eine ziemlich rachsüchtige Hexe.
Ich klappte
das Jahrbuch zu und lehnte mich an die hohe Lehne von Thierrys Ledersessel. Mir
war schlecht.
Es klopfte
an der Tür, dann ging sie langsam auf. Thierry betrat den Raum und sah mich
aufmerksam an.
»Ich habe
mich schon gefragt, wo du bist«, sagte er.
Ich hob das
Jahrbuch hoch. »Hier. Ich schwelge in Erinnerungen.«
»Und wie ist
das so?«
»Beschwerlich.«
Ich
berichtete ihm von meinen Entdeckungen. Als ich zugab, dass ich mich auf der
Schule Stacy gegenüber ziemlich boshaft benommen hatte, schnürte sich mir fast
der Hals zusammen. Ich erwartete, dass er mich voller Verachtung ansehen würde,
doch sein Ausdruck blieb unverändert.
»Also habe
ich es offensichtlich verdient, verflucht zu werden«, stellte ich fest.
»Das ist
Unsinn, Sarah. Vielleicht hast du in diesem einen Moment deines Lebens etwas
Böses gesagt, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du deshalb ein
schlechter Mensch bist.«
»Doch, genau
das
Weitere Kostenlose Bücher