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Ein Sarg für zwei

Ein Sarg für zwei

Titel: Ein Sarg für zwei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Rowen
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untertrieben, oder?«
    Ich zwang
mich zu lächeln und blickte hinüber zu George. Er hatte sich eine weitere
Zigarette angezündet. »Stimmt. Nun, ich weiß, dass ich dich respektlos
behandelt habe. Niemand kann ununterbrochen nett und freundlich sein. Es gibt
sicherlich viele Dinge, die dazu führen können, dass sich jemand ungewöhnlich
unfreundlich verhält.«
    »Ach, das
war also ungewöhnlich?«
    »Es ist zehn
Jahre her.«
    »Und?«
    Der Wind
frischte auf und wehte etwas Schnee von einem Ast auf mich hinunter. Er fühlte
sich kalt und nass in meinem Gesicht an, und ich wischte ihn weg. »Du hast
unglücklicherweise einmal für ein paar Minuten eine schlechte Seite von mir
kennengelernt. Ich hatte eine Menge Freunde. Sie können alle bestätigen, dass
ich eine wirklich nette Person war. Aber ich weiß, dass ich gemein zu dir
gewesen bin, und dann bin ich auch noch mit, wie hieß er noch gleich, zum
Abschluss...«
    »Jonathan«,
schnappte sie. »Er hieß Jonathan.«
    »Richtig, Jonathan. Die Schule ist schon schlimm genug, ohne dass man zusätzlich noch von seinen
Klassenkameraden gehänselt wird. Das ist mir klar. Es tut mir unendlich leid,
dass ich deine Gefühle verletzt habe.«
    Stacy
schnaubte verächtlich.
    Ich hob
fragend die Brauen. »Was?«
    »Das war
also deine Entschuldigung?«
    »Ja.«
    Sie gab mir
eine Ohrfeige, die ein schmerzhaftes Stechen auf meiner linken Wange
hinterließ. Ich schaute sie an und war viel zu überrascht, um wütend zu sein.
    George kam
einen Schritt näher. »Wenn du Sarah noch einmal schlägst, du Zicke, blase ich
dir Rauch ins Gesicht.«
    Sie winkte
mit der Hand in Georges Richtung, woraufhin er auf der Stelle erstarrte und die
Augen schloss. Seine Zigarette fiel auf den Boden.
    Ich
blinzelte. »Was hast du getan?«
    Stacy
glotzte mich an. »Deine moralische Unterstützung hat mich gestört. Mach dir
keine Sorgen, er kommt wieder in Ordnung, aber dieses Gespräch geht nur uns
beide etwas an, Sarah, und ich möchte, dass das so bleibt.«
    Ich ballte
die Hände zu Fäusten und versuchte, ruhig zu bleiben. Meine linke Wange brannte
von der Ohrfeige. »Ich habe mich bei dir entschuldigt. Was willst du noch von
mir? Ich habe nichts Falsches getan.«
    Sie
schüttelte den Kopf und nahm sich Zeit, um den herabgewehten Schnee von ihrem
roten Mantel zu wischen. »Ist es nicht komisch, dass jeder ein völlig anderes
Bild von sich hat? Wie sich jeder zum Helden der eigenen Geschichte und die
anderen zu Bösewichten macht?«
    »Ich bin
kein Bösewicht.«
    »Du bist ein
Vampir.«
    »Vampire
sind nicht böse.« Meine Güte, wie oft musste ich das den Leuten denn noch
erklären ? »Wir sind wie Menschen, außer dass wir mit ein paar Problemen
mehr zurechtkommen müssen. Es hängt von unserer Entscheidung ab, ob wir gut
oder böse sind. Jemand, der sich selbst als Hexe bezeichnet, müsste das
eigentlich verstehen. Ich kann an dir auch keine grüne Haut, Warzen oder
Besenstiele entdecken.«
    »Nein, keine
Besenstiele«, sagte sie gleichgültig. »Aber ich habe so etwas Ähnliches für
dich mitgebracht.«
    Sie zog
einen langen, spitzen Holzpflock aus einer versteckten Innentasche ihres
Mantels.
    Mein Mund
wurde trocken, und mein Herz hämmerte heftig gegen meine Rippen. Allein der
Anblick des Pflocks genügte, um eine sofortige Panikattacke auszulösen. Das
letzte Mal hatte ich einen Pflock gesehen, als man ihn mir aus der Brust zog.
    »Es ist
komisch, wie allein die Erinnerung an ein starkes Trauma die Gefühle daran so
lebendig werden lässt, als wäre es gerade erst passiert.« Stacy lächelte
wieder. Das legte den Gedanken nahe, dass sie irgendwoher wusste, was mir
passiert war. Ich ließ das spitze Holzstück nicht eine Sekunde aus den Augen.
»Erinnerungen können durch sehr viele Dinge ausgelöst werden. Durch einen
Geruch oder Geschmack. Unsere Sinne verblüffen uns mit ihrem absoluten
Gedächtnis. Es ist, als würde uns das schreckliche Erlebnis noch einmal
widerfahren. Wir können es theoretisch immer und immer wieder durchleben.« Sie
drehte den Pflock in den Händen.
    »Leg ihn
weg!«, bat ich sie zitternd.
    »Warum?
Wirke ich bedrohlich auf dich? Ich halte ihn doch bloß in der Hand. Ich
versuche doch nicht, irgendetwas damit zu tun, oder?«
    Ich hatte
mich mit meinem Pflock-Trauma auseinandergesetzt. Das hatte ich. Wie sie gerade
gesagt hatte, war es eine ziemlich unangenehme Erfahrung gewesen, aber ich war
darüber hinweg. Nur ... nur war ich das irgendwie doch nicht so ganz.

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