Ein schicksalhafter Sommer
dass du künftig sonntags mit zur Kirche gehen musst.“
„Mit zur Kirche konnte er ja wohl heute nicht, mit der Hand“, erwiderte Luise auf Mines Vorwurf. „Aber wo jetzt die Sprache auf den Gottesdienst kommt, die Sofia gefiel mir heute Morgen nach dem Kirchgang gar nicht.“
„So ein Unsinn. Hast du wieder etwas gefunden, womit du die Leute verrückt machen kannst?“
„Nein, Hermann, wirklich. Ist dir das denn nicht aufgefallen, dass sie irgendwie komisch war? Dir auch nicht, Katrin?“
„Mm, nein“, überlegte Katrin, „eigentlich nicht.“ Allerdings hatte sie ihrer Schwester auch bewusst keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hatte keine Lust auf irgendwelche Andeutungen wegen ihres gestrigen Gespräches gehabt. „Wie kommst du denn darauf, Mama?“
„Na ja, sie war so ruhig.“
„Dann wird ihr eben nicht nach reden zu Mute gewesen sein. Du wirst es nicht für möglich halten, Luise, aber es soll auch Frauen geben, die nicht so schwatzhaft sind wie du.“
„Ach, Hermann, ich weiß nicht“, entgegnete seine Frau und ignorierte die Spitze ihres Mannes. „Und der Georg war auch so kurz angebunden.“ Nachdenklich blieb Luise einen Moment mitten in der Küche stehen. Doch dann erhellte sich ihre sorgenvolle Mine. „Aber der Karl, der war heute sehr gut gelaunt, nicht wahr, Katrin?“
„Findest du?“, murmelte Katrin und strich sich die Schürze glatt.
„Ja, aber sicher. Das muss dir doch aufgefallen sein. Er hat sich doch schließlich mit dir unterhalten.“
Katrin mied den Blick des Mannes, der ihr gegenüber saß. „Er hat nur guten Morgen gesagt, Mama.“
„Ja, na und? Aber mit was für einem Strahlen im Gesicht. Und was macht der doch für eine gute Figur mit seinen maßgeschneiderten Sachen. So elegant. Hast du gesehen, wie neidisch die anderen Mädchen geguckt haben, als er nur Augen für dich hatte?“
Katrin räusperte sich verlegen. „Nein, Mama. Kein Mensch hat neidisch geguckt. Warum auch? Er hat gegrüßt und ist dann sofort wieder verschwunden.“
Gottlob schoss Hennes plötzlich bellend durch die Küche und lenkte ihre Mutter ab, ehe diese noch weiter auf der Sache herumreiten konnte.
„Wo kommt de nn plötzlich die Töle her?“ Missbilligend beobachtete Hermann, wie der Hund zum Flur hechtete. „Otto!“, schrie er dann.
„Ja, Papa?“ Otto kam aus seiner Kammer.
„Sag bloß, der Hund war in deinem Zimmer? Nein, du brauchst mir nichts zu erzählen. Wo soll das Vieh sonst gewesen sein? Wie oft hab ich dir gesagt, dass Hennes ein Hofhund ist und kein Spielzeug. Er gehört angekettet vor seinen Zwinger. Und nachts wird er losgebunden und kann Wache halten!“
„Aber Papa. Der Hennes braucht doch nicht angekettet werden. Der tut doch keiner Fliege was“, stieß Otto entsetzt aus.
„Eben. Weil du ihn verzärtelt hast. Der Köter ist zu nichts mehr zu gebrauchen“, erregte sich Hermann.
„Aber sieh doch, Papa. Jetzt bellt er doch , weil jemand kommt.“ Otto zeigte auf den kläffenden Hennes, der schwanzwedelnd im Flur vor der Haustür stand.
„Na, wenn der jeden Einbrecher so freundlich begrüßt, dann bin ich ja beruhigt“, sagte Hermann geringschätzig, als der Hund seine jüngste Tochter, die eben ihr Elternhaus betrat, freudig ansprang.
„Überraschung!“, rief Sofia gutgelaunt, als sie über die Schwelle trat. Sie lächelte in die Runde, sah aber niemanden richtig an.
„Fia, Schätzchen. Bist du alleine?“ Suchend sah Luise hinter ihre Tochter.
„Ja, Georg hatte noch zu tun, am heiligen Sonntag, stellt euch vor. Da dachte ich, da bring ich der Katrin mal das Buch, welches ich ihr schon so lange versprochen habe.“ Sofia plapperte munter drauflos, während sie in ihrem Korb kramte. Dann legte sie einen Wälzer auf den Tisch.
Katrin zog die Augenbrauen hoch und begegnete dem Blick ihrer Schwester. Diese wich ihr aus und wühlte weiter in ihrem Korb. Nachdenklich las Katrin den Titel „Frankenstein“. Zuerst hatte sie vermutet, Fias Geschichte mit dem Buch wäre irgendein Vorwand, denn ihr Auftreten war zu fröhlich und ihr Lachen schien zu laut. Außerdem hatte sie das Buch nur einmal nebenbei erwähnt. Doch als Katrin jetzt den Titel las und sich an ihr damaliges Gespräch erinnerte, fragte sie sich, ob Sofia nicht wirklich wegen des Buches gekommen war, um ihrer Schwester die Augen zu öffnen. Unwillkürlich sah sie zu Robert. Wenn der wüsste, dass er mit einem Monster verglichen wurde.
„So, Mama, und das hab ich euch mitgebracht.“
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