Ein schicksalhafter Sommer
„Und du!“ Er zeigte mit dem Finger auf seine Tochter. „Du keifst auch noch zurück wie ein Fischweib. Was diskutierst du überhaupt mit unserem Knecht über dein Privatleben oder etwaige Verehrer? Was sollen die Leute jetzt denken?“, schrie er hochrot.
„Hermann, bitte, denk an dein Herz.“ Luise rang besorgt die Hände.
„Drauf geschissen, Luise! Mit dem Hermann kann man es ja machen, nicht wahr? Das sagen die Leute jetzt. Wer soll mich denn noch ernst nehmen?“ Hermann baute sich vor Robert auf und obwohl er zu seinem Knecht aufsehen musste, bot er in seinem gerechten Zorn eine imposante Erscheinung. Er bohrte seinem Gegenüber den Finger in die Brust. „Eins sag ich dir: Ich lass mich von dir nicht zum Gespött machen. Tagelang konntest du nicht richtig arbeiten, weil du was weiß ich mit deiner Hand angestellt hast, heute benimmst du dich, als hättest du hier irgendetwas zu melden. Wenn ich mich noch einmal wegen dir aufregen muss, dann kannst du hier verschwinden, hast du mich verstanden?“
Robert sah auf den zitternden Finger, der auf ihn gerichtet war und hob dann den Blick, um Hermann Nessel in die vor Wut blitzenden Augen zu sehen. „Ja, Herr Nessel.“
„Und noch was sag ich dir: Wag es nicht, dich heute beim Erntedankfest blicken zu lassen. Und jetzt geh mir aus den Augen.“ Er wartete, bis Kalter das Haus verlassen hatte, dann ließ er sich erschöpft auf den Stuhl sinken. „Und du wag ja nicht, den Mund aufzumachen“, rief er seiner Tochter zu, die gerade im Begriff war, auf ihn zuzutreten. „Du gehst mir auch aus den Augen.“
„Aber Hermann.“
„Was, aber Hermann? Willst du sie jetzt verteidigen, Luise? Ich frage mich dasselbe wie das ganze Dorf: Was geht da zwischen den beiden vor?“
Luise musste dann zugeben, dass sie sich das auch schon die ganze Zeit, aufs Äußerste beunruhigt, fragte.
Katrin stand neben ihrer Schwester in der festlich geschmückten Scheune, wo alljährlich das Erntedankfest abgehalten wurde.
„Also wirklich, Katrin, du könntest wenigstens versuchen, so auszusehen, als würdest du dich amüsieren.“ Sophia warf ihrer Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu. „Anstatt dass du froh bist, da ss Mama und Papa dich überhaupt haben mitkommen lassen!“
Katrin bewunderte den schön geschmückten Tisch und die Dekorationen in der Scheune und versuchte, die nörgelnde Stimme ihrer Schwester zu ignorieren.
„Katrin, ich rede mit dir! Hörst du mir überhaupt zu?“
Seufzend gab Katrin sich geschlagen und sah ihre Schwester an. „Abgesehen davon, dass ich keine zwölf mehr bin und die Erlaubnis meiner Eltern nicht mehr brauche, haben Mama und Papa darauf bestanden, dass ich mitkomme, damit die Leute nicht noch mehr tuscheln.“
„Eben, damit sie nicht noch mehr tuscheln. Du solltest dich amüsieren und zusehen, dass du mit dem Karl tanzt. Und sagen, dass du dir das Verhalten von Kalter nicht erklären kannst. Und stattdessen stehst du hier in der Ecke und schmollst. Ich hatte mir ja selbst eingeredet, dass ich mich vielleicht doch getäuscht habe, mit dir und Kalter, aber jetzt hab ich keinen Zweifel mehr. Und du leugnest es ja nicht einmal.“
„Meine Güte, Sofia, warum gehst du nicht endlich zu Georg und lässt mich in Frieden?“
„Oh, das würde ich liebend gerne, aber Georg steht bei seinen Eltern, und die warten nur darauf, mich wieder auf dein Verhalten von heute Morgen anzusprechen. Das ist mir weiß Gott zu peinlich. Was soll ich denen denn sagen? Dass meine Schwester ein Techtelmechtel mit unserem verkommenen Stallknecht hat? Wo sie sich, zur gleichen Zeit wohlgemerkt, von einem wohlhabenden, vornehmen Herrn den Hof machen lässt? Das ist ja alles so peinlich!“ Sofia verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte wütend den Kopf.
Katrin sah auf die vor Aufregung geröteten Wangen ihrer perfekten Schwester. „Du hast dich ja von deinem Streit mit Georg bemerkenswert gut erholt. Und du solltest wirklich aufhören, dich für deine Familie zu schämen.“
„Ich weiß auch nicht, warum ich letzte Woche so empfindlich war. Und du besitzt ja wohl nicht die Frechheit, mir vorzuwerfen, dass ich mich für dein unentschuldbar blamables Benehmen schäme. Georg sagt, er weiß nicht, wo das noch enden soll.“
„Es tut mir Leid, dass ich euch alle in Verlegenheit gebracht habe“, lenkte Katrin ein.
„Da können wir uns auch nichts für kaufen. Da hinten ist der Karl. Jetzt geh auch hin!“
„Sofia, ich hab nun mal
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