Ein Schlag ins Herz
mitgeteilt worden, sondern von einem dänischen Handelsschiff. Aus all dem kann jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.«
Die Anwesenden wechselten besorgte Blicke. Die Situation drohte zu eskalieren.
»Wie wäre es mit folgender Hypothese: Die Verbrecher werden gedeckt, und man versucht erst gar nicht, sie zu fassen, da hinter dem Anschlag ein offizielles Organ steckt, das gegen die Pipeline ist, beziehungsweise dessen Handlanger?«, fuhr der Russe mit seiner Provokation fort.
»Ich glaube nicht, dass sich unter den Experten in diesemRaum jemand solche amateurhaften Frechheiten anhören will«, sagte Edgar Link laut und stand auf.
Der Korvettenkapitän erhob sich ebenfalls und mit gleichem Grimm. Die beiden anderen Russen folgten seinem Beispiel.
»Wir werden unsere eigenen Untersuchungen fortsetzen. Und wenn die Arbeit an der Pipeline-Baustelle noch einmal gestört wird, eröffnen wir das Feuer.«
Timo sah zu, wie die Russen in einer Front den Raum verließen. Er blickte zu Åsa hinüber, die lediglich mit den Schultern zuckte.
6
»Doktor Denaux und Monsieur Recher erwarten Sie im Besprechungszimmer«, sagte die sorgfältig gekleidete Sekretärin zu Patrik.
Sandrine geizt jedenfalls nicht mit den Anwaltskosten, dachte er, während er auf die Zwischentür zuging. Er wusste, dass die Ärztin aus einer reichen Familie stammte, auch wenn sie in der Zeit, in der sie ein Paar gewesen waren, so gut wie nie darüber gesprochen hatte. Die Räume im Art-nouveau-Stil waren mit Möbeln aus Edelholz und Leder eingerichtet, an den Wänden hingen große Gemälde, auf denen Teilhaber der Kanzlei von vor hundert Jahren mit Zigarre in der Hand posierten.
Patrik war in Hamburg in den Nachtzug gestiegen und am Morgen an der Gare du Midi in Brüssel angekommen. In dem engen Abteil hatte er schlecht geschlafen, die ganze Nacht über waren seine Gedanken unruhig zwischen der
Sigyn
-Operation und der bevorstehenden Begegnung mit Sandrine hin- und hergegeistert.
An der einen Seite des glänzenden Mahagonitischs saß Sandrine Denaux, daneben ein über sechzigjähriger Mann mit Anzug und Brille, der sich erhob, als Patrik den Raum betrat. Er ging auf ihn zu und streckte ihm mit verhaltenem Lächeln die Hand entgegen.
»Sind Sie allein?«, fragte der Anwalt, der sich mit dem Namen Henry Recher vorgestellt hatte. »Wir dachten, auch Sie würden einen Rechtsbeistand mitbringen.«
»Wir werden nach diesem Treffen über die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen entscheiden«, sagte Patrik und ließ dabei unerwähnt, dass er gar nichts mit Beates Vater und dessen Anwalt zu tun hatte.
Im Vergleich zu dem Juristen war Sandrine lässig gekleidet: enge Jeans und taillierter Pullover. Das gebräunte Gesicht war nur leicht geschminkt.
Ausdruckslos und mit geradem Rücken, die Hände auf dem Tisch gefaltet, saß sie da und schwieg. Dieses Spiel beherrschte sie.
Patrik setzte sich ihr und dem Anwalt gegenüber. Er spürte Wut in sich aufsteigen, seine Achselhöhlen waren schweißnass.
»Hier sind der Bericht des Arztes, der die Obduktion durchgeführt hat, und Gutachten von zwei hochklassigen Professoren«, sagte Recher und schob Patrik einen Stoß Unterlagen zu.
Patrik versuchte, die in englischer Sprache verfassten Dokumente zu überfliegen, aber die Erinnerung an Beate überkam ihn so stark, dass er sich nicht aufs Lesen konzentrieren konnte.
Er schob die Unterlagen beiseite. »Mit medizinischer Terminologie kann man auch aus der Nacht einen Tag machen. Doktor Denaux hat mir zu verstehen gegeben, dass ideologische Gründe ihre Entscheidung beeinflusst haben.«
»Sind Sie verrückt?«, unterbrach ihn Sandrine ruhig. »Wollen Sie behaupten …«
»Sie sind in einer Organisation aktiv, die für ›die Ausrottung des kolonialistischen Erbes in Afrika‹ arbeitet«, fuhr Patrik fort. »Sie waren in mehreren Anti-Globalisierungs-Bewegungen aktiv, Sie sind bei einer gewalttätigen antikapitalistischen Demonstration beim G 8-Gipfel in Genua festgenommen worden …«
»Die Milz Ihrer Freundin war geplatzt, was eine massive innere Blutung verursachte«, sagte Sandrine ruhig und sah Patrik dabei fest in die Augen. »Beide Nieren waren schwer beschädigt. Ich hatte nicht die geringste Chance, sie zu retten.«
Patrik versuchte, tief zu atmen und nach außen hin ruhig zu erscheinen.
»Das alles wird im Obduktionsbericht dargelegt«, fuhr Sandrine fort. »Kein Arzt der Welt hätte sie retten können, wie ich schon sagte. Die Wunden des Fahrers
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