Ein Schlag ins Herz
wurden genäht, die Fraktur des Ellenhakens wurde geschient, und es geht ihm gut.«
Im Raum kehrte Stille ein. Die bis zur Decke reichenden Reihen schwarz gebundener juristischer Bücher dämpften auch die Geräusche von draußen.
Patrik beugte sich vor, sah Sandrine in die Augen und sagte: »Sie konnten nicht mit Sicherheit wissen, wie schwer sie verletzt war. Sie hätten alles versuchen müssen. Beate starb aufgrund Ihrer Entscheidung.«
Patrik stand auf und schob die Unterlagen in seine Tasche.
»Wollen Sie schon gehen?«, fragte der Anwalt, wobei er die Lesebrille absetzte. »Lassen Sie uns in aller Ruhe verhandeln …«
»Wir haben nichts zu verhandeln. Ich werde meine Experten bitten, die Dokumente genau durchzusehen. Dann sehen wir uns vor Gericht.«
Patrik wandte sich ab und ging auf die Tür zu.
»An Ihrer Stelle würde ich darauf verzichten, vor Gericht zu ziehen«, sagte Sandrine. »Sie wollen doch sicher nicht, dass Ihre Verstrickung in Sachen Posiva ans Tageslicht kommt.«
Patrik blieb wie vom Donner gerührt stehen. Langsam drehte er sich um. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Dann öffnete er die Tür und eilte an der Sekretärin vorbei ins elegant verzierte Treppenhaus. Sandrines Worte hallten in seinem Kopf nach und er spürte, wie rasende Wut in ihm aufstieg.
Sandrine registrierte die verärgerte Miene ihres Rechtsanwalts.
»Sie werden sicher verstehen, dass Monsieur Vasama Ihr Verhalten unter Umständen als Nötigung auslegt«, sagte Recher.
»Es tut mir leid. Ich habe mich hinreißen lassen, aber ich will einfach kein Gerichtsverfahren.«
»Sie werden es gewinnen. Worauf haben Sie mit der Bemerkung ›in Sachen Posiva‹ angespielt?«
»Das war nur so dahingesagt. Nichts Wichtiges.«
»Alle Anspielungen und Nötigungen rächen sich in juristischen Fällen, sofern keine stabilen Beweise vorliegen. Der Gegenseite gefällt so etwas nie.«
»Ich glaube nicht, dass Patrik Vasama an die Türen der Gerichtsgebäude klopfen wird«, sagte Sandrine und verstaute die Unterlagen in ihrer Tasche.
7
Propriété Privée. Domaine de Mourchon
.
Patrik las das Schild und ließ den Blick dann entlang der Buchen wandern, die rechts und links ein grünes Dach über der Straße bildeten. Zwischen den drei Meter hohen Torpfosten aus Stein hindurch sah man eine ebenso pompöse wie düstere Villa mit Türmchen und Erkern hinter exakt geschnittenen Büschen und symmetrischen Blumenrabatten aus dem Nebel ragen.
Patrik war Sandrines kleinem Peugeot von der Anwaltskanzlei aus gefolgt bis hierher nach Tervuren im Westen von Brüssel, wo alte Villen in großen Gärten standen. Sandrine war zum Tor hineingefahren, und Patrik hatte seinen Leihwagen in der Nähe abgestellt.
Je mehr er über Sandrines Anspielung auf Posiva nachdachte, desto wütender wurde er. Was hatte die Frau über ihn ausgegraben?
Er trat durch die Fußgängerpforte ein und sah rechts im Garten einen Laubengang aus Weinstöcken mit schmiedeeisernen Stützen, der in den Nebel hineinzuführen schien. Patrik kannte die Villa von einem Foto, das Sandrine ihm einmal gezeigt hatte, aber in Wirklichkeit war das Gebäude wesentlich beeindruckender. Sandrine entstammte einer wohlhabenden Familie, sie war ein verwöhntes Einzelkind und absolut unfähig, ihre Egozentrik zuzugeben.
Plötzlich hörte Patrik hinter sich das Geräusch eines näher kommenden Fahrzeugs. Dann summte der Elektromotordes Einfahrtstors. Intuitiv trat Patrik zwischen den Hecken zur Seite. Am Steuer des Citroën, der auf das Grundstück fuhr, saß ein Mann mit Glatze und schmalem Bart. Patrik zuckte vor Überraschung zusammen.
Was machte Herman McQuinn hier?
Der Wagen hielt an, und Patrik beobachtete, wie Sandrine an der Tür der Villa erschien und Herman dann ins Haus führte.
»Fühl dich wie zu Hause«, sagte Sandrine zu Herman. »Mein Vater ist geschäftlich in New York, und meine Mutter hält sich in unserem Haus in St Raphaël auf. Warte, ich hole das Material.«
Sie eilte die breite Treppe hinauf in ihr Zimmer im ersten Stock. Es sah immer noch so aus wie vor zehn Jahren, als sie endgültig ausgezogen war. An der Wand dominierte ein Poster von Che Guevara, aber hauptsächlich schmückten den Raum Ziergegenstände südamerikanischer und afrikanischer indigener Völker: gewebte Bilder, Perlenbänder, Pfeifen, Trinkgefäße. An einer Wand hing eingerahmt ein Foto aus dem
Time
Magazin, eine dramatische Aufnahme von der G 8-Demonstration in Genua. Sandrine
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