Ein Schlag ins Herz
Alles, was wir bislang unternommen haben, waren die Vorbereitung und das Training dafür. Du begreifst sicher, dass die endgültige Operation so eine Größenordnung haben muss, damit sie eine echte Wirkung erzielt.«
Sie schwiegen eine Weile, bis Dominik weiterredete: »Auch Beate hat zunächst gezögert, als wir die verschiedenen Ideen analysierten. Aber auch sie fand, dass der Nutzen es wert wäre, dass man es wenigstens versuchen sollte. Sie war vom Gelingen der Aktion überzeugt, nachdem sie dich getroffen hatte, und glaubte, dich zum Mitmachen bewegen zu können. Und ich glaube, dass du das tief in deinem Inneren genauso siehst.«
Patrik sah weit aufs Meer hinaus. Warum hatte Beate ihm nichts davon erzählt?
»Ich habe vor, mich mit Beates Eltern zu treffen«, sagte er dann.
Dominik und die gesamte Gruppe waren erstaunt gewesen, weil Beates Eltern nicht gewollt hatten, dass einer von ihnen zur Beerdigung kam. Das war der Gruppe ganz einfach falsch vorgekommen, aber man konnte nicht gewaltsam auf eine Beerdigung gehen. Sie hatten dann nur ein Blumengebinde geschickt.
»Sie halten mich für den Schuldigen«, fuhr Patrik mit heiserer Stimme fort. »Ich will ihnen sagen, wie leid es mir tut … und dass ich alles getan habe, um Beate zu retten …«
»Nein. Gib ihnen Zeit. Das ist eine traumatische Erfahrung für sie. Sie können damit noch nicht umgehen. EinesTages werdet ihr zusammen an Beates Grab stehen. Aber noch ist die Zeit nicht reif für eine Begegnung mit ihnen.«
Dominik legte Patrik die Hand auf die Schulter, aber Patrik kam die Geste gezwungen und künstlich vor.
»Denk stattdessen daran, was Beate von dir erwartet hätte. Was du tun sollst. Wie du dein Leben einsetzt. Ich bin sicher, sie hätte gewollt, dass du genau das hier machst.«
»Ich muss darüber nachdenken«, sagte Patrik. »Mich mit den Plänen genauer beschäftigen.«
Da klingelte sein Handy. Er schaute aufs Display und erkannte die Nummer, die er schon einmal aus dem Speicher entfernt hatte.
Dominik verschwand in der Kajüte, und Patrik nahm das Gespräch an.
»Was willst du?«, fragte er eisig.
»Was für Lügen hast du dem Vater deiner Freundin aufgetischt?«, wollte Sandrine mit mühsam unterdrückter Wut wissen. »Sein Anwalt hat beim MSF eine Untersuchung gegen mich beantragt. Willst du wirklich, dass ich meine Approbation verliere? Ist es das? Rache? Du glaubst doch nicht, dass meine Entscheidung durch etwas anderes als medizinische Gründe beeinflusst wurde?«
Patrik wollte sagen, dass er mit Beates Vater nichts zu tun hatte und deshalb auch nicht für den Untersuchungsantrag verantwortlich sein konnte, aber er änderte seine Meinung.
»Ich will eine gründliche medizinische Untersuchung des Falles.«
Am anderen Ende der Leitung wurde es still.
»Gut. Setz dich mit der Anwaltskanzlei Recher & Vanspringel in Brüssel in Verbindung und lass dir einen Termin geben. Wir sehen uns dort«, sagte Sandrine Denaux und legte auf.
5
Ein Brocken Erde klatschte gegen das Seitenfenster, und die schrillen Töne der Trillerpfeifen schmerzten in den Ohren.
Timo Nortamo saß auf dem Rücksitz des Volvo-Kombis und schaute auf das unruhige Gedränge in der Rannamäe-Straße am nördlichen Rand der Altstadt von Tallinn. Der blonde, breitschultrige Finne verstand die russischen Parolen nicht, die gerufen wurden, aber er sah die offene Aggressivität der jungen Männer.
»Keine Sorge«, sagte der Beamte der zentralen Kriminalpolizei Estlands, der den Wagen lenkte. »Bald werden unsere Männer die Randalierer unter Kontrolle bringen.«
Timo war kurz davor, eine Beruhigung der Lage mit friedlichen Mitteln zu empfehlen, entschied sich dann aber dafür, den Mund zu halten. Die Lage auf den Straßen von Tallinn war angespannt, seitdem die Nachricht über finanzielle Hilfe Russlands für die Estlandrussen im Radio und im Internet verbreitet worden war.
»Ich wäre anstelle der Polizei vorsichtig«, sagte Åsa Björklund, die neben Timo saß, in der für sie typischen direkten Art. »Die Stimmung hier ist ziemlich geladen. Wesentlich mehr als bei der Auseinandersetzung um das bronzene Kriegerdenkmal.«
In der Pikk-Straße löste sich die Menge langsam auf, und das Auto hielt vor dem Gebäude der Zentralkripo. Früher war das trotz aller Verzierungen düster wirkendegraue Gebäude das Hauptquartier des estnischen KGB gewesen, weshalb noch immer viele Bewohner Tallinns, die der älteren Generation angehörten, einen weiten Bogen um
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