Ein Schlag ins Herz
italienischen Investmentbank. Dass sie erschrocken war, verriet lediglich die fleckige Röte an ihrem Hals.
Von irgendwo hörte man ein grelles, schnell lauter werdendes Sirren. Das Geräusch kam aus einem mit Stoff verkleideten Lautsprecher, der auf der Galerie versteckt war.
Die Bewaffneten schienen dem Chor aus Hunderten von Fliegen, in den sich das Weinen eines kleinen Kindes mischte, keinerlei Beachtung zu schenken. Im Hintergrund erklangen die Rhythmen afrikanischer Trommeln.
»
Jedes Jahr sterben in Afrika und Asien Millionen Kinder an Unterernährung«,
sagte eine ruhige Frauenstimme vom Band
. »Gleichzeitig werden die Industrieländer im Rekordtempo immer reicher. Die größten multinationalen Konzerne erzielen sogar in der Rezession Gewinne in Milliardenhöhe, die dann in Form von Dividenden in die
Taschen ohnehin schon reicher Leute wandern. Die riesigen Gewinne vieler Konzerne werden durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den Entwicklungsländern erwirtschaftet. Aber diese Ressourcen und ihre Nutzung sollten den Einwohnern der jeweiligen Länder vorbehalten sein
…«
Auf den Gesichtern im Saal zeigte sich ein Hauch von Erleichterung: Womöglich steckten hinter dem Anschlag keine Terroristen, sondern es handelte sich nur um eine Gruppe Globalisierungsgegner …
Einer der Bewaffneten zog ein Handy hervor und schien jemanden anzurufen.
Sandrine war damit beschäftigt, das Periskop erneut am Dachfenster zu platzieren, als ihr Handy vibrierte. Der Anruf kam von Herman.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Habt ihr die Banderole an die Fassade bekommen?«
»Neben dem Balken steht eine blaue Tasche«, sagte Herman merkwürdig hastig und angespannt. »Darin ist ein Brief. Lies ihn!«
»Was für ein Brief? Wovon redest du?«
Die Verbindung wurde abgebrochen.
Zögernd griff Sandrine nach der blauen Tasche.
Patrik wischte sich mit dem Ärmel die Meerwasserspritzer vom Gesicht. Unter seinen Kleidern drückte ihn das zusammengerollte Transparent, es reichte vom Knie bis unter die Achsel und erschwerte jede Bewegung. Er hatte es selbst entworfen, in großen Lettern darauf zu lesen war eine Internetadresse:
www.atomgrab.org
.
Das Vergraben von Atommüll im Grundfels war in vielen Ländern in Erwägung gezogen und dann als zu riskant verworfen worden. Nur in Finnland hatte man das Projektvorangetrieben, obwohl zahlreiche Geologen die Pläne für irrsinnig erklärt hatten.
Patrik wusste nur zu gut, dass Finnland während der letzten Eiszeit von einer drei Kilometer dicken Eisschicht bedeckt gewesen war. Wenn in der Zukunft Fennoskandia auch nur einmal von Festlandeis überzogen würde, würde alles, was der Mensch der Gegenwart errichtet hatte, zermalmt werden. Unter dem Gewicht des Eises rissen die Felsen, und ein Erdbeben folgte auf das andere. Die Erdkruste bräche fast einen Kilometer tief ein, bis sie sich allmählich wieder höbe. Eis- und Wassermassen wechselten sich ab. Nur der unterirdisch verborgene Atommüll bliebe der neuen Zivilisation als Erbe erhalten, auch wenn diese erst vierzigtausend Jahre nach der Eiszeit noch einmal an dieser Stelle von vorne anfinge. Die Menschen wüssten nicht, dass die von Korrosion spröde gewordenen Kupferkapseln ihren Inhalt an den Fels und das Grundwasser abgäben, von wo aus er in die Nahrungskette gelangte. Würden die Menschen in ferner Zukunft etwas von unseren Atommüllverstecken wissen, würden sie uns verfluchen und in die unterste Hölle wünschen, da war sich Patrik sicher. Um das zu verhindern, hatte er seinerzeit alles gegeben – sogar zu viel …
Er sah hinüber zu Dominik, der am Ruder stand und konzentriert nach vorne schaute. Patrik merkte, wie Hass und Misstrauen gegenüber Beates ehemaligem Freund in ihm stärker wurden, je mehr er sich die Lage vor Augen führte. Er bereute es, dass er nicht versucht hatte, mehr Informationen aus Beates Eltern herauszubekommen, und beschloss, nach der Aktion noch einmal nach Hamburg zu fahren. Jetzt aber musste er sich auf seine aktuelle Aufgabe konzentrieren, denn der Seegang wurde immer stärker.
Zum Glück hatten alle Männer im Team Erfahrungmit dem Meer. Dieser Gedanke beruhigte Patrik, aber ein Aspekt dabei belastete ihn: Er selbst hatte zwar auch eine Ausbildung als Kampftaucher, aber er fragte sich, ob die anderen womöglich
zu
effektiv und professionell handeln könnten. Die Gruppe hatte ihre Ausbildung noch für ganz andere Situationen erhalten …
Die Stimmung war
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