Ein schneller Sieg
gelegen kommende Verschleierung von Pierres eigentlichen Aktivitäten bildete. Nicht, daß die BRP sich als unnütz erweisen würde, falls – wenn es so weit war. Dann würde es sich nur nicht um die BRP handeln, von der Palmer-Levy irgend etwas wußte – und die meisten der gegenwärtigen BRP-Anführer auch nicht.
Die Anflugkontrolle zog Pierres Flugwagen näher an die Fiale auf der Spitze des Turms, und der Insasse widmete seine Aufmerksamkeit ganz dem Bauwerk.
Hoskins Tower erhob sich aus den Grünanlagen zu seinen Füßen, war über vierhundert Stockwerke hoch und durchmaß einen Kilometer – ein gewaltiges, hohles Sechseck aus Stahl und Betokeramik mit den Tupfen der Zugangsöffnungen für den Verkehr. Einst waren die Türme von Nouveau Paris, jeder davon eine kleine Stadt für sich, ihr ganzer Stolz gewesen, doch die angeblich unverwüstliche Betokeramik von Hoskins Tower zeigte nach kaum dreißig Jahren bereits Risse und blätterte ab. Aus der Nähe konnte man sehen, wie blatternarbig die Außenflächen des Turmes vor lauter lieblos angebrachter Flick- und Reparaturstellen waren. Pierre wußte, auch wenn man es von außen nicht sehen konnte, daß die obersten dreiundzwanzig Stockwerke schon vor über fünf T-Jahren geräumt und abgeschottet worden waren, denn das ständige Versagen der Leitungssysteme hatte sie unbewohnbar gemacht. Hoskins stand noch immer auf der Warteliste für den Besuch eines Wartungsteams, das sich eines Tages um die Rohrleitungen kümmern würde – vielleicht. Selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Bürokraten das Team nicht urplötzlich mit einem dringenden ›Notfall‹ beschäftigten (zum Beispiel Reparaturen an Präsident Harris’ Swimmingpool) – oder daß die Leute selber nicht zu dem Schluß kamen, das Leben als Dolist sei so übel auch nicht, und einfach kündigten.
Pierre mochte Hoskins Tower nicht. Das Gebäude erinnerte ihn zu sehr an seine eigene Vergangenheit, und der Umstand, daß selbst ein Dolisten-Manager mit seinem Einfluß nicht in der Lage war, seine Rohrleitungen repariert zu bekommen, versetzte ihn in Rage. Aber Hoskins Tower war ›sein‹ Distrikt der Hauptstadt. Pierre kontrollierte die Stimmen der Menschen, die in Hoskins wohnten, und an ihn wandten sie sich, um ihren Anteil an der Beute aus dem Wohlfahrtssystem zu erhalten. Das machte ihn zu einem sehr wichtigen Mann für sie – und schenkte ihm einen Sicherheitsschirm, den selbst Palmer-Levy nicht zu durchbrechen vermochte.
Pierres Lippen zogen sich von den Zähnen zurück und entblößten sein Gebiß, während die Leitstelle seinen Flugwagen in die offene Spitze des Turms lenkte und das Vehikel langsam in die nur stellenweise beleuchtete Höhlung hinabsank. Trotz der körperlichen Jugend, die der Prolong-Prozeß ihm verliehen hatte, war Pierre einundneunzig T-Jahre alt, und er konnte sich an andere Zeiten erinnern. Zeiten, als er sich aus den Reihen der anderen Dolisten hervorgekämpft hatte – das war noch, bevor die Fäulnis alles durchdrang. Damals wären die Leitungsprobleme von Hoskins Tower binnen weniger Tage behoben worden; damals wäre eine Anklageerhebung mit folgender Gefängsnisstrafe daraus erwachsen, daß die für den Bau verantwortlichen Bürokraten eindeutig minderwertiges Material verwendet und im gesamten gewaltigen Bauwerk die Vorschriften umgangen hatten, um in die eigene Tasche zu wirtschaften. Heute interessierte sich nicht einmal jemand dafür.
Pierre drückte einen unauffällig angebrachten Knopf, und der Wagen löste sich aus dem Griff der Anflugkontrolle. Das war illegal – und angeblich unmöglich –, doch wie bei allem in der Volksrepublik gab es Wege der Umgehung, die jedem offenstanden, der sie bezahlen konnte und den Willen besaß, sie zu nutzen.
Er steuerte den Wagen seitwärts und lenkte ihn verstohlen zu einem aufgelassenen Apartment im 393. Stockwerk. Dort landete er ihn auf einem Balkon. Der Balkon war eigentlich nicht für solche Landungen ausgelegt, aber deswegen flog Pierre eben einen kleinen und leichten Wagen.
Während er die Systeme hinunterfuhr, dachte Pierre: Es wird Zeit, daß jemand Hoskins Tower generalüberholt. Hoskins Tower … unter anderem.
Wallace Canning hob in einer abrupten, nervösen Bewegung den Kopf. Laute Schritte hallten vom nackten Fußboden und echoten durch den kahlen, leeren Korridor, bis schließlich eine ganze, unsichtbare Legion auf Canning zuzumarschieren schien. Nun, er war im Laufe der vergangenen drei Jahre auf
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