Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
»im Radio« gemacht habe. Wir ergänzten uns gut beim Schreiben von Sketchen mit Thomas, Georg Bungter (ebenfalls Redakteur und späterer Hörfunkchef) und Hilmar Bachor (damaliger Redakteur beim Hörfunk), der mir jungem Huhn auch ohne Doppel-Korn vertraute und mich ans Mikrophon ließ! Im Nachhinein ging es so gesehen für mich direkt von der Kneipe ins Showgeschäft. Angesichts der vielen Säufer, die das Showgeschäft wie eine Kneipe betrachten, wiederum auch nicht so ungewöhnlich.
Ich habe diese Zeilen über meine Kneipenzeit sehr oft gelesen und mich wirklich ernsthaft gefragt, ob das alles wirklich so wa(h)r oder ob vieles nicht auch schon eine liebgewonnene, beschönigte Wahrheit ist. So eine Art Feuerzangenbowlenromantik. Machen wir uns nichts vor, die bösen Erinnerungen schließen wir oft genug tief in die große Kiste des Vergessens, damit sie uns nicht bei erstbester Gelegenheit den Blick in die glorreiche Vergangenheit versauen. Vielleicht war es ja gar nicht so toll, wie ich immer denke und erzähle. Neigen wir nicht alle dazu, Geschichten auszuschmücken und lustiger zu machen, als sie waren?
Auf der anderen Seite: Wie soll man all die Wunden und Verletzungen, die Entbehrungen sonst verarbeiten? Nach der Geburt denkst du: Hölle, das war’s! Das werde ich mir nicht noch einmal geben. Was für Schmerzen. Und schon ein Jahr später ist das alles oft so abstrakt und weit weg verdrängt. Und ich frage mich schon jetzt, ob mir das vielleicht auch mal so mit dem Schlaganfall gehen wird? Werde ich mich soweit erholen und regenerieren, dass mich nur noch ein paar physische Handicaps an diese Zeit erinnern werden? Schreibe ich dieses Buch, um mich daran zu erinnern, wie heftig die Schmerzen waren? Seelisch und körperlich? Und obwohl ich versuche, so wahrhaftig, offen und pur wie möglich zu schreiben, versuche ich doch auch jetzt schon gleichzeitig, Sie auch zum Lachen zu bringen. Weil wir nicht nur über die Vergangenheit weinen können. Wir müssen auch das Gute aus dem Schlechten ziehen. Wenn man Scheiße gefressen hat, ist das traurig und schlimm. Aber das Gute ist: Man weiß auch defintiv, wie sie schmeckt. Ich kann durch das Elend, was mir widerfahren ist, auch das Pseudoelend ein bisschen besser erkennen. Wobei es mir schwerfällt und ich mich eigentlich weigere, Elend miteinander zu vergleichen. Was ist schlimmer: Pest oder Cholera? Ja, wie »Sie haben überlebt«? Dann ist ja gar nichts schlimm, wenn Sie noch leben! Meine Lieblingsaufregersprüche: »Da haben Sie aber Glück, dass Sie noch leben!« – »Im Vergleich zu Herrn XY sind Sie ja noch ein Glückspilz«! – » XY , das ist ein armes Schwein, der ist nur noch ein sabbernder Lappen!« – »Jetzt seien Sie aber mal schön glücklich!« Das kennt man ja noch so ähnlich von früher, aus der Kindheit. Wenn Mutti mit Blick auf die Essensreste auf dem Teller tadelnd, mit bebender Stimme und vorwurfsvoll geschürzter Oberlippe greinte: »Die armen Kinder in Afrika wären froh, wenn sie was zu essen hätten.« Geschenkt. Aber als Kind konnte man sich das beim besten Willen nicht vorstellen – und man hätte seine Schokolade darauf verwettet, dass selbst ein armes Kind in Afrika auf jeden Fall diese ekelige Erbsensuppe in hohem Bogen ausspucken würde. Und so überlegt man wieder von vorne: Wie war das eigentlich wirklich? Lecker oder nicht? Lustig oder traurig, schmerzhaft oder unerträglich? Wahr oder eher wahr-scheinlich? Nun, ich glaube, dass das eines der wenigen Dinge ist, die die Zeit nicht bringen wird. Also »klären« wird sie es auf keinen Fall. Also ist es wahrscheinlich keine schlechte Idee, wenn ich jetzt schon mal viel aufschreibe, von dem ich glaube, dass es so war. Ich kann mich ja weiterhin rigoros ins Kreuzverhör nehmen und in Selbstgesprächen versuchen, der objektiven Wahrheit eine Chance zu geben. Was objektiv gesehen Unfug ist. Da meine Wahrheit ja auf jeden Fall doch sehr subjektiv ist.
Egal, Kinners, ich will es mal lieber so formulieren: Ein kluger Mann hat mal gesagt (das googlen Sie mal schön selbst, ich habe schon genug mit dem Tippen zu tun), dass interessante Selbstgespräche einen klugen Gesprächspartner voraussetzen. Zack, das ist ja wohl mal wieder ein Hammerspruch, um beim nächsten Grillabend seinen etwas simpel gestrickten »Ich-sach-mal-Schwager« im farbenfrohen »Ed Hardy Shirt« in eine tiefe Glaubens- und Sinnkrise zu stürzen. Also, Gabriele – Hand aufs Herz … wie war das eigentlich
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