Ein schöner Ort zu sterben
Schrittgeschwindigkeit an den zahlreichen Trauergästen vorbeimüssen.
Im Vorbeifahren warf Emmanuel einen Blick auf die Gesichter. Er hatte Glück. In dem Pulk am Straßenrand befand sich keiner aus dem Pretorius-Clan. Er bog nach links ab und gab Gas. Bald darauf hatte er die Stadtgrenze hinter sich gelassen und fuhr auf der Hauptstraße in Richtung Westen.
Er drosselte die Geschwindigkeit auf Schritttempo und sah über die Schulter nach den beiden Frauen, die auf der Rückbank kauerten. Davida, die Tochter, hatte ihre Wange an das warme Leder geschmiegt und verbarg die obere Hälfte ihres Kopfes hinter ihren Händen. Sie atmete langsam und tief, ihr Mund stand leicht offen. Im ersten Moment dachte er, sie sei eingeschlafen.
»Alles klar«, sagte Emmanuel und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Zu beiden Seiten rollte das Buschland vorbei, ein Gewirr aus wilden Feigenbäumen und Akazien. Vor dem Hintergrund der vorbeischwimmenden Landschaft tauchte vor Emmanuels geistigem Auge plötzlich wieder das nebulöse Bild dieses zerbrechlichen Mädchens auf, Davida, entehrt und allein auf dem Rücksitz seines Wagens.
6
»Wie finden Sie es?«
»Äußerst eindrucksvoll.« Emmanuel wusste, dass dies die einzige richtige Antwort auf die Frage war.
Elliot King deutete auf ein halbfertiges Gebäude am Flussufer. »Das da wird einmal das exklusivste Safaricamp im ganzen südlichen Afrika sein. Fünf luxuriöse Jagdhütten mit Blick auf das Wasserloch, erstklassige Fährtenleser und Wildhüter und ein ständiges Angebot an individuellen Jagdausflügen. Das beste Essen, der beste Wein, die größte Vielfalt an Tieren. Allein für die Vorräte habe ich ein Schweinegeld hingeblättert. Aber die Leute, die hier herkommen wollen, werden mir dafür ja auch ein Schweinegeld bezahlen, also gleicht es sich wieder aus.«
Emmanuel hörte den Stolz in der Stimme des Engländers.
Die ganze Freude darüber, unangefochtener Herrscher seines eigenen Stückchens Afrika zu sein, lag darin.
»Diese Farm hat einmal den Pretorius’ gehört«, warf er ein und musste an die Familie des Captains denken, dem ja ebenfalls ein riesiger Brocken von Transvaal gehörte.
»Stimmt.« King griff nach einem silbernen Glöckchen, das neben ihm auf einem kleinen Beistelltisch stand, und läutete damit. »Captain Pretorius hat sie mir vor etwa einem Jahr verkauft, als ihm klar wurde, dass weder Paul noch Louis Farmer werden würden.«
»Ich habe gehört, es gab wegen des Verkaufs ein bisschen Ärger.«
»Ach, die Geschichte.« King grinste. »Das war eher ein Problem zwischen Pretorius und seinen Söhnen. Denen fehlt eben der Geschäftssinn ihres Vaters. Er war ein intelligenter Mann.«
»Mr. King?« Das war Mrs. Ellis, die auf das Läuten des Glöckchens hin erschienen war. Inzwischen trug sie nicht mehr ihr schwarzes Trauerkleid, sondern die Haustracht, ein maßgeschneidertes grünes Hemdkleid, auf dessen Brusttasche Bayete Lodge eingestickt war. Selbst darin sah sie noch elegant aus.
»Tee«, orderte King. »Und etwas Gebäck bitte.«
»Sofort.« Die Haushälterin deutete einen Knicks an und verschwand im kühlen Inneren des Hauses. In Gesellschaft von Elliot King kam man sich vor wie in einem altmodischen englischen Roman. Jeden Moment erwartete man, das Schlagen von Trommeln und die aufgebrachten Schreie zu hören, die zur Verteidigung des Hauses gegen einen Eingeborenenaufstand riefen.
»Intelligent?« Emmanuel wiederholte das Wort. Immerhin redeten sie hier über einen kapholländischen Police Captain, dessen Hals so dick wie ein Baumstamm gewesen war.
»Ich weiß schon.« King lächelte. »Er sah genauso aus, wie man sich einen dummen Buren vorstellt, aber dahinter verbarg sich eine vielschichtige Persönlichkeit.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Kommen Sie mal mit.« King erhob sich und ging ins Haus, dabei erzählte er weiter. »Ja, das hier war einmal die Pretorius-Farm. Der Captain war schon die dritte Generation, die hier lebte. Und er ist erst weggegangen, als er geheiratet hat und in die Stadt gezogen ist.«
Unterwegs schaute Emmanuel sich in dem Haus um. Der geräumige Salon war mit weichen, opulenten Sofas ausgestattet, auf dem Boden lagen Tierfelle. An den weiß getünchten Wänden hingen englische Landschaftsgemälde und Familienfotos. Alles wurde von Mrs. Ellis peinlich in Ordnung gehalten. Einige Stammesmasken, Speere und Schilde verliehen der Einrichtung gerade noch soviel Urtümliches, dass man sich in
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