Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
bisher vergeblich suchte.“
Alle beide brachen in dröhnendes Gelächter aus. „Holt mich hier gefälligst raus!“, kreischte ich.
Wenn ich Ruperts Flinte zur Hand gehabt hätte, hätte es in diesem Moment Tote gegeben.
„Reg dich nicht auf! Ich besorge dir eine Leiter“, rief Ryan lachend. „Ach und … geh nicht weg!“, fügte er hinzu, was bei Marlin und ihm neue Lachsalven auslöste. Ich schrie vor Wut und warf eine Handvoll Dreck in Richtung Loch, doch sie stoben rechtzeitig auseinander und brachten sich in Deckung.
„Was ist denn hier los?“
„Ailsa!“, rief ich. „Hilfe!“
„Jo?“ Ihr Kopf tauchte auf. „Oh mein Gott, Jo! Oh Gott, stinkt das.“
„Hol mich hier raus, bitte!“, rief ich, und vor lauter Wut und Ekel liefen mir die Tränen über das Gesicht.
„Ryan ist schon losgegangen. Mach dir keine Sorgen! Ein langes, heißes Bad, und alles ist vergessen. Wie konnte das passieren?“
„Sie ist eingeb-brochen“, sagte Malcolm.
„Ich schätze mal, der Regen in den letzten Tagen hat der Holzabdeckung den Rest gegeben“, sagte Marlin mit leichtem Glucksen in der Stimme.
„Hast du das Warnschild nicht gesehen?“, fragte Ailsa. „Mein Onkel hat es extra aufgestellt!“
„Was für ein Warnschild?“, brüllte ich. „Ich habe nichts gesehen. Es ist dunkel, Herrgott! Holt mich hier endlich raus!“
„Ganz ruhig, Jo! Ryan kommt bestimmt gleich.“
Gleich fühlte sich an wie hundert Stunden. Als Ailsa sagte, er käme schon!, war ich kurz vor einem Ohnmachtsanfall. Das Blut rauschte in meinen Ohren, und meine Knie drohten einzuknicken. Ich hatte Mühe, die Sprossen der Leiter hinaufzusteigen. Mehr als einmal wäre ich beinahe abgerutscht. Als ich oben ankam, griffen Ryan und Marlin mir unter die Arme und hoben mich gemeinsam hoch.
„Oh Himmel! Mädchen, du stinkst!“, sagte Marlin und lachte.
„Ach, sag bloß!“ Fuchsteufelswild drehte ich mich zur Burg um und marschierte los. Ailsa lief in einigem Abstand neben mir her, gefolgt von den anderen. Als ich am Ostturm ankam und Richtung Ufer lief, blieb Ailsa verdutzt stehen. „Wo willst du hin?“, fragte sie.
„Na, ich kann ja wohl schlecht so durch die ganze Burg bis ins Bad laufen. Bleib hier! Ich bin gleich wieder da.“
„Warte, Jo! Wir helfen dir!“ Ryan und Marlin zogen sich ihre Jacken aus und reichten sie an Ailsa und Malcolm weiter, dann kamen sie zu mir.
„Nein!“, rief ich und hob eine Hand. „Kommt nicht näher! Ich warne euch!“
Es nutzte nichts. Beide hatten dasselbe Grinsen im Gesicht, ihre Augen glänzten im Mondlicht und drückten Entschlossenheit aus.
Sie holten mich im Handumdrehen ein, und Ryan hob mich ohne Federlesen auf seine Arme.
„Bist du wahnsinnig? Was tust du?“, schrie ich und versuchte auf Abstand zu gehen, was nicht möglich ist, wenn man in den Armen eines großen und kräftigen Mannes liegt.
„Lass sie nicht fallen!“, sagte Marlin und zog mir die Schuhe aus.
„Mach ich nicht. Jo, hör auf! Du zappelst wie eine Krabbe.“
„Ich stinke, und ich bin so dreckig, dass ich mir am liebsten auch noch die Haut ausziehen würde. Lass mich runter!“
„Nein! Und nun halt still!“
„Ekelt ihr euch nicht?“, fragte ich, nachdem Marlin mir auch noch die Hosen und die Socken ausgezogen hatte und alles mit einem Platsch am Ufer fallen ließ.
„Doch!“, erklärten beide gleichzeitig. Ryan rückte mich noch einmal zurecht, und dann marschierten sie mit mir schnurstracks in den See hinein.
„Passt auf sie auf!“, rief Ailsa vom Ufer aus.
Eine Stunde später lag ich in einer heißen Wanne, deren Schaumberge so hoch waren, dass ich kaum über sie hinwegschauen konnte. Ich hatte die Augen geschlossen, holte nun schon zum zwanzigsten Mal tief Luft und sog den Duft von Veilchen und Rosen in die Nase, in der Hoffnung, den Geruch der Klärgrube irgendwann vergessen zu können.
Die Tür ging auf, und Ailsa trat ein. In der Hand hielt sie einen großen Cremetiegel.
„Was ist das?“, fragte ich. Sie lächelte und setzte sich zu mir auf einen Hocker, drehte den Deckel des Tiegels ab und hielt ihn mir unter die Nase. „Oh! Wahnsinn! Was ist das?“
„Jasmin.“
„Wundervoll! Lass mich noch mal riechen, bitte!“
Ailsa lachte auf, tat mir aber den Gefallen.
„Ist das für mich?“, fragte ich.
„Ja, natürlich“, sagte sie. „Wie geht es dir?“
„Besser. Ich habe zwar immer noch einen Hauch von Fäkalien in der Nase, aber der ist schon so weit abgeschwächt, dass es
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