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Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryla Krüger
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die Lampe wieder weg, zündete die Kerzen an und verließ mit dem kleinen Kandelaber das Zimmer. Still wanderte ich durch die Flure, nahm noch einmal die Gerüche wahr, die das alte Holz, die steinernen Mauern und die dicken Stoffe und Wandteppiche ausströmten. Ich hatte diesen alten Kasten tatsächlich  liebgewonnen. Trauer erfasste mich, wenn ich daran dachte, dass ich ihn vielleicht lange Zeit nicht wiedersehen würde. Ich strich liebevoll über die vielen Gemälde, Rüstungen und Statuen, die meinen Weg kreuzten, und fuhr mit den Händen noch einmal über die hässliche Statue mit den Hörnern, die vor der Pinakothek stand. Rupert hatte mir vor ein paar Tagen erst gesagt, dass dies ein Urisk sei, ein einsames Feenwesen, das sich heimlich in Burgen und Schlösser schleicht, um den Menschen dort nahe zu sein. Er hatte mir auch erzählt, dass die vielen kleinen Holzhocker, die in jedem Zimmer der Burg neben dem Kamin standen, für die Brownies wären – kleine Geister, die den Menschen im Haushalt halfen. Rupert hatte mir den Nagel gezeigt, den er stets bei sich trug, um sich vor Feen und Kobolden zu schützen. Er hatte mir sogar noch am selben Abend einen Nagel geschenkt. Der lag irgendwo in meinem Zimmer. Ich lächelte den Urisk an und öffnete die Tür zur Pinakothek, trat ein, stellte den Kerzenleuchter auf den Fußboden und setzte mich vor Annies Gemälde.
    Ihre Augen waren grün. Grün wie Ryans Augen.
    Ich wusste nicht genau, wie lange ich dort schon saß und Annie anstarrte, mit ihr redete und ihr mein Herz ausschüttete, doch nach einer Weile fühlte ich mich seltsam leicht, als hätte sie mich tatsächlich gehört. Ich lächelte sie an, und es sah aus, als würde sie zurücklächeln. Sicher war es nur das Licht der Kerzen, das mir diese Scharade vorgaukelte, aber es kümmerte mich nicht. Nicht mehr! Sie hat gelächelt – und Schluss!
    Irgendwann stand ich auf, strich zum Abschied mit der Hand über den Bilderrahmen, nahm den Kerzenleuchter und verließ die Pinakothek in Richtung Küche. Dort setzte ich Wasser auf, nahm etwas von Ailsas Tee, den sie mir geschenkt hatte, und trug die volle Teetasse den Gang zurück in Richtung Turm, als jemand an der offenen Tür des Turms vorbeilief und weiter in Richtung Vestibül hinabstieg. Ich war mir fast sicher, dass es Ryan war, und ein Gefühl sagte mir, dass ich ihm besser nachgehen sollte. Ich stellte Tasse und Kerzenleuchter auf einem Fensterbrett ab und lief los. Er trat im Vestibül aus dem Treppenturm, ging von dort durch die Glastüren hinaus in den Burginnenhof und verschwand dann um die Ecke des östlichen Wohnturmes. Ich folgte ihm in einigem Abstand und schlich dicht an den Mauern entlang. Ryan, wenn er es denn tatsächlich war, verschwand in Richtung Kapelle.
    „Oh nein! Bitte nicht!“, murmelte ich. „Lass es nicht Ryan sein! Bitte! Jeder, nur nicht er!“
    Hatte ich mich geirrt? War er es die ganze Zeit? War es immer nur Ryan gewesen? Was wollte er an der Kapelle? Gab es womöglich noch mehr Geheimnisse?
    Ich lief los. Nach nur ein paar Schritten gab der Boden unter mir plötzlich nach, und ich brach mit einem erschrockenen Ausruf ein. Nasser Schlamm, der so widerwärtig stank, dass sich mir der Magen umdrehte, fing mich in gut zwei Metern Tiefe auf. Matsch spritzte mir ins Gesicht. Ich verlor den Halt, fiel um und schrie wie am Spieß. Fluchend und zeternd richtete ich mich wieder auf, schüttelte Dreck von meinen Fingern, und es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre in Tränen ausgebrochen. Ich hätte alles darum gegeben, nicht zu ahnen, wo ich mich befand. Doch der unverwechselbare Geruch nach Fäkalien und Dreck sandte mir furchtbare Bilder ins Gehirn.
    Auf einmal wurde mir der Lichtstrahl einer Taschenlampe ins Gesicht gehalten.
    „Jo!“, rief Malcolm. „Was machst du da? Geht es dir gut?“
    „Ja, es geht mir gut! Verdammt! Was ist das hier?“, fluchte ich und blickte an mir herab. Ich war von oben bis unten mit Moder und nassem Unrat besudelt. Und es stank zum Himmel!
    „Du bist in einem Teil der Klärgrube gelandet.“
    „Das wollte ich nicht hören!“, schrie ich hysterisch, und die Nackenhaare hoben sich mir vor lauter Entsetzen.
    Zwei weitere Köpfe erschienen am Rand des Lochs über mir.
    „Jo?“, fragte Ryan.
    „Darling?“, sagte Marlin.
    „Ja, wer denn sonst!“, fauchte ich zurück.
    „Hm.“ Marlins Stimme klang völlig ungerührt. „Es ist offensichtlich, dass Kapitän Nemo entdeckt hat, was die Menschheit

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