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Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryla Krüger
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er mal wieder versuchte, in meinem Gesicht zu lesen, doch da ich nichts zu verstecken hatte, erwiderte ich seinen Blick ungerührt.
    „In zwei Tagen“, antwortete er langsam.
    „In Ordnung!“, erwiderte ich leichthin. „Oh, übrigens. Ich soll dir Grüße von deiner Großmutter ausrichten. Und du sollst dich mal wieder bei ihr sehen lassen.“
    Die Röte, die seine Ohren überzogen hatte, breitete sich über Stirn und Nase aus. Noch ein Wort von mir, und er explodiert wie ein Hefeteig, überlegte ich und musste trotz allem ein Schmunzeln verdrängen.
    Lucas und Finn schauten von mir zu Ryan und wechselten dann einen vielsagenden Blick. Malcolm, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, hob zaghaft eine Hand. „W-was m-mache ich?“
    „Du kannst Finn und Lucas helfen“, sagte Ryan, und seine Finger trommelten auf den Tisch.
    „Na dann!“, meinte Finn und räusperte sich. „Kommt, Jungs! Ich glaube, die Zeitbombe tickt schon.“ 
    Ryans Augen lagen noch immer auf mir. Ich lächelte Finn und Malcolm fröhlich zu. Lucas verabreichte mir einen aufmunternden Schlag auf die Schulter, flüsterte mir ein „Lass dich nicht unterkriegen!“ ins Ohr und zwinkerte. Ich nickte.
    Als sich die Tür hinter den dreien schloss, blickte ich zurück in Ryans Gesicht und wartete. Nichts geschah.
    „Nun sag schon!“, forderte ich.
    „Was soll ich sagen?“
    „All das, was dir auf den Lippen liegt. Ich bin kein Lippenleser, Ryan, aber wenn ich mich nicht irre, steht da eine ganze Menge geschrieben, und das meiste ist nicht gerade sehr höflich.“
    „In Ordnung!“, sagte er und setzte sich hin. „Wie du möchtest, Jo.“
    Seine Stimme war sehr ruhig, doch es lag ein Unterton darin, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellten.
    Er holte tief Luft, faltete die Hände und sah mich an. „Jo, du hast in den letzten Tagen und Wochen mein ganzes Leben vor mir ausgebreitet, bist teilweise darauf herumgetrampelt, hast Dinge ans Licht gebracht, die niemals herauskommen sollten, und mir Fehler vorgehalten, die ich nie glaubte gemacht zu haben. Du hast mein Innerstes nach außen gekrempelt, dann deine spitzen Finger in Wunden gedrückt, die eigentlich verheilt sein sollten, mich dazu gebracht, dass ich mich vergesse, dass ich meine Arbeit nicht akkurat erledigen kann, weil ich ständig über dich nachdenken muss. Ich weiß nicht, ob ich dich an den Haaren zum nächsten Flughafen zerren oder vor dir niederknien, dir danken und dich anbeten soll. Und das Schlimmste daran ist … Ich liebe dich! Mehr als alles andere auf dieser Welt!“
    Ich kam in genau dem Moment wieder zu mir, als sich die Tür zur Bibliothek hinter ihm schloss. Ich starrte die Schnitzereien und Intarsien auf dem Türblatt an und konnte nicht begreifen. Hatte ich wirklich all das getan? Hatte ich tatsächlich die Macht, einem Mann wie Ryan so zuzusetzen? Ich war doch nur – ich?
    Ich war ein Niemand! Ich war ein kleines Mädchen aus einer deutschen Kleinstadt, das manchmal etwas zu weit über das Ziel hinausschoss, das oftmals erst redete und dann nachdachte, dessen Neugier und Beharrlichkeit hin und wieder so groß waren, dass es sich keine Gedanken über die Konsequenzen machte, die das Resultat dieser Neugier mit sich brachte.
    Ich atmete ein paarmal tief ein und aus, stand auf, ging um den Tisch herum und begann langsam, mit den Gedanken bei Ryan und dem, was ich getan hatte, Annies Briefe und ihre Notizen zusammenzusammeln, zu ordnen und zu heften. Diese einfachen Tätigkeiten beruhigten mein aufgewühltes Inneres, und am frühen Abend kam mir die Erkenntnis, warum ich all das getan hatte. Und ich erkannte auch, dass Ryan recht hatte. Ich wusste auch nicht, ob ich eine Strafe oder eine Belohnung verdient hatte. Aber ich war mir sicher, das Schicksal, das mich hierhergeführt hatte, würde schon wissen, was davon mir zustand.

Zum Himmel!
    Nach dem Abendessen hatte es endlich aufgehört zu regnen. Ich hatte mich mit einem Buch über die schottische Geschichte vor den Kamin gesetzt und lauschte nebenbei den leisen Gesprächen der Männer, die mit einer Flasche Whisky das Ende dieser Forschungsreise einläuteten. Um halb elf ging ich ins Bett, doch ich wälzte mich von einer Seite zur anderen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, begann sich das Gedankenkarussell zu drehen. Kurz vor zwölf stand ich auf und zog mich an. Als ich meine Taschenlampe nehmen wollte, fiel mein Blick auf den silbernen Kerzenleuchter, und ohne lange darüber nachzudenken, legte ich

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