Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Dielenboden.
„Ich habe eine Stimme und Schritte vor meiner Tür gehört und bin dem Licht einer Lampe nachgegangen, doch wer immer das auch war, er ist mir entwischt.“
Ryan sah mich an, als wäre er sich nicht sicher, ob er mich nicht lieber zu Milly ins Bett stecken sollte.
„Das war keine Einbildung, Ryan!“, verteidigte ich mich. „Da war jemand. Ich schwöre es. Ich bin ihm hierher gefolgt, wollte ihn hier drin auf frischer Tat ertappen.“
„Auf frischer Tat ertappen“, wiederholte er. „Und warum habe ich ihn nicht gesehen?“
„Keine Ahnung!“, rief ich aus. „Du bist doch hier der Spezialist für mysteriöse Vorfälle.“
„Schon gut. Reg dich nicht auf!“, sagte er, hob den Kopf und runzelte die Stirn. „Ist das die Statue, die du im Hof gesehen hast?“
„Nun ja, nein. Leider nicht“, gab ich zu und zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was ich gesehen habe, aber das war es auf keinen Fall. Bitte!“, beschwor ich ihn. „Schau mich jetzt nicht wieder so an, als würdest du an meinem Verstand zweifeln.“
„Hm …“, erwiderte Ryan mit einem Schmunzeln. Er blickte auf seine Uhr. „Es ist erst vier, Jo. Ein paar Stunden kannst du noch schlafen. Komm, ich bringe dich rauf.“
„Warum schläfst du nicht?“
„Ich habe die Nachtwache übernommen“, sagte er, ließ die Türflügel der Pinakothek leise zufallen und schob mich in Richtung Treppenturm.
Nach meinem Rundgang und dem Schrecken war ich wie aufgekratzt und verspürte wenig Lust, wieder ins Bett zu gehen. Den Traum, den ich gehabt hatte, würde ich sowieso nicht wiederfinden. Davon abgesehen stellte sich die Frage, ob ich überhaupt wieder einschlafen könnte. Ich warf Ryan von der Seite einen Blick zu. „Kann ich dir bei deiner Nachtwache vielleicht Gesellschaft leisten?“
„Bist du nicht müde?“
„Nein.“
Er blieb stehen, kniff die Augen zusammen und musterte mich. „Willst du mir nur Gesellschaft leisten, damit ich dich nicht den Rest der Nacht in deinem Zimmer einschließe?“
„Sagte ich schon, dass es mir leidtut?“
„Hrrrm …“, knurrte er. „Ich glaube, du erwähntest es.“ Doch schließlich lächelte er und nickte. „Okay, aber lass um Himmels willen das Ding da verschwinden.“ Er deutete angewidert auf meinen Elektroschocker und rieb sich noch einmal über den Bauch. „ A Dhia! Das hat ganz schön weh getan.“
Das Oktogon war früher das Malzimmer einer schottischen Lady gewesen. In der Chronik stand, dass der damalige Laird es seiner Braut als Hochzeitsgeschenk erbauen ließ. Von außen betrachtet, hing es wie eine große, knubbelige Nase an der Mauerkante des östlichen Wohnturms und war der hellste Raum in der ganzen Burganlage. Den Namen Oktogon trug es zu Recht. Durch die acht Wände erweckte dieser Raum den Eindruck, rund zu sein. Jede zweite Wand war mit blauem Samt bezogen. Blau waren auch die Teppiche und die Draperien an den drei großen Fenstern. Jetzt war er zum Geräteraum umfunktioniert worden und hell erleuchtet. Links standen ein – natürlich blaues – Kanapee und ein Chippendale -Tischchen, genau gegenüber befand sich eine Anrichte mit Getränken und Knabberzeug, und mittig im Raum waren drei große Tische zusammengeschoben worden. Darauf standen mehrere blinkende Computerbildschirme und andere Gerätschaften, und aus mehreren kleinen Lautsprechern erklangen harte Gitarrenriffs, tiefe Bässe und hämmernde Drums einer mir durchaus bekannten Band.
„Du hörst Rammstein?“
„Aye“, sagte er und drehte sich mit fragendem Blick zu mir. „Ist das für dich so unglaublich?“
„Na ja, ja. Irgendwie schon.“
Ryan lächelte und steuerte den Getränketisch an. „Möchtest du auch einen Kaffee?“
„Gern! Was ist das alles?“ Ich setzte mich auf einen Stuhl an die drei großen Tische und betrachtete die vielen Apparate und Displays.
Ryan goss Kaffee aus einer Thermoskanne in zwei Tassen und blickte über die Schulter zurück. „Warte, ich erkläre es dir gleich. Zucker oder Milch?“
„Weder noch. Danke!“
Er stellte die Tassen auf den Tisch, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und strich sich nebenbei das Haar aus der Stirn. „Also! Wir haben in der Krypta mehrere Messgeräte aufgestellt, die mit dem Sammler verbunden sind, das ist der hier“, sagte er und strich über ein kleines Tablet. „Der wandelt die Daten um, macht sie also für uns lesbar und sortiert sie. Siehst du hier?“
Er wies auf fünf kleine
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