Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
hineingeraten, so ähnlich wie ich?“
Ryan strich sich unter der Nase entlang und lächelte. „Na ja, es gab damals eine Zeit, da wusste ich nichts mit mir anzufangen.“
„Ja, das kenne ich“, sagte ich und nickte verständnisvoll. „Und was hast du dagegen getan?“
„Ich habe eine Frau kennengelernt.“ Er lachte leise auf und schob das Tablet ein Stück weiter in die Tischmitte.
„Eine Frau aus Fleisch und Blut?“, fragte ich. „Oder ein Gespenst in weißem Kleid?“
„Definitiv aus Fleisch und Blut. Sie sprach mich in einem Inn an, oben auf den Shetlands, und fragte, ob ich ihr bei einem Experiment helfen könne. Und ehe ich mich’s versah, saß ich allein und angetrunken auf einem alten Friedhof und hielt verschiedene Runensteine in die Höhe.“
„Und?“
„Einer wurde mir plötzlich aus der Hand gerissen. Ich war so erschrocken, dass ich umfiel und mit dem Kopf auf einen Grabstein stieß. Drei Tage später saß ich mit einer genähten Platzwunde bei Professor Sutherland im Büro und beantwortete seltsame Fragen.“
„Und die Frau?“, fragte ich. „Wer war sie?“
„Sie ist bedeutungslos“, sagte Ryan knapp und stand auf. Er ging hinüber zum Getränketisch, schenkte sich einen Whisky ein und hob fragend die Flasche in meine Richtung. „Willst du auch?“
„Nein, danke!“ Ich vermutete, dass die Frau für ihn alles andere als ohne Bedeutung war, doch ich spürte, dass er sie nicht noch einmal erwähnen würde, nicht heute – und ich behielt recht.
Gestatten, Raibeart
Gegen sieben Uhr morgens wurden wir von einem verschlafen aussehenden Finn in unsere Betten geschickt, wo ich erstaunlicherweise noch etwa eineinhalb Stunden Schlaf fand. Um halb elf stromerte ich allein durch die Gänge der Burg und blieb vor lauter Verzückung an jedem Fenster stehen. Ja! Endlich schien die Sonne. Sie tauchte die sonst so düsteren Korridore in warmen Glanz und den Park in gleißendes Licht, und es schien, als ob die blühenden Magnolienbäume im Burghof noch einmal alles hervorzauberten, was sie zu geben hatten, bevor ihre zarten Blüten den Weg alles Sterblichen gehen mussten. Ihr Duft traf mich unversehens, als ich auf dem Weg in die Küche war, und ich beschloss, den Kaffee, den ich zu ergattern hoffte, draußen auf dem Söller zu genießen.
Die Tür zur Küche stand weit offen, doch es war niemand da, und so schlich ich hinein und schaute mich um. Die Aufteilung der Küchenmöbel erinnerte an eine geräumige Werkstatt. Mittig standen zwei große Arbeitstische Seite an Seite wie Werkbänke, deren Oberflächen so sauber geschrubbt waren, dass das Holz bereits stumpf und rauh war. An der Längsseite war eine schneeweiße Küchenzeile aufgebaut, an der sich nicht nur ein großer, normaler Gasherd einreihte, sondern auch einer dieser antik anmutenden Holzherde. Vor dem Fenster befand sich eine Pflanzen-Etagere, die alle möglichen Kräuter enthielt: Basilikum, Petersilie, Rosmarin und Schnittlauch erkannte ich auf den ersten Blick. Darüber hingen, mit Schnüren an einer Schiene befestigt, ein Knoblauchzopf, ineinander verflochtene Zwiebeln und ein riesiger Schinken, der einen würzigen Duft verbreitete. Es war eine Küche, die für alle Eventualitäten gerüstet war. Von einem schlichten, kleinen Frühstück – in der Ecke auf einer Anrichte lag frisches Brot – bis zu einem fulminanten Dinner für mindestens dreißig Personen, was mir der große zweiflügelige Kühlschrank in der anderen Ecke verriet. Ein leises Aroma von frisch gebrühtem Kaffee hing in der Luft. Ich drehte mich um die eigene Achse und erblickte neben der Tür – welch Wunder! – eine Kaffeekanne, aus deren Tülle immer noch ein wenig Dampf stieg. Ich schnappte mir eine der Tassen, die mit den Henkeln über der Anrichte an einem Bord mit Haken hingen, schenkte mir Kaffee ein und schlich auf Zehenspitzen aus Millys Reich. Der Söller war allerdings schon von jemand anderem erobert worden.
„Oh! Guten Morgen, Mister MacDonald!“, sagte ich höflich, und er drehte sich zu mir. In seinem Mundwinkel hing eine Pfeife, in der Hand hielt er eine Tasse. Er nahm die Pfeife heraus und lächelte breit. „Madainn mhath, a nighean!“, brummte er gut gelaunt. „Wie ich sehe, hast du den Kaffee gefunden.“ Er winkte mich freundlich heran. „Komm nur, Kleines! Lass uns den herrlichen Morgen gemeinsam genießen.“
„Da hatten wir beide wohl den gleichen Gedanken“, sagte ich und stellte mich an seine Seite. „Ich hoffe nicht,
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