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Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryla Krüger
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umgebaut. Sie war kreisrund, ihr Dach glich einer Zwiebelkuppel mit offenem Schlot. Das Aroma von frisch geräuchertem Fisch zog durch die ganze Straße und ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Man hatte neben der Räucherei ein Gasthaus errichtet, dessen eine Seite komplett aus Glas war, wie ein Wintergarten, so dass man den Schiffen beim Ein- und Auslaufen zuschauen konnte.
    Wir bekamen, obwohl der Gastraum gut besucht war, einen freien Tisch an diesen Fenstern, und ich setzte mich wortlos. Ich hatte überhaupt noch nicht viel gesagt. Nur hin und wieder ein „Ja“ und „Danke“ . Mein Herz schlug auch weiterhin etwas schneller als gewöhnlich, doch zusätzlich hatte ich auch noch ein vibrierendes Knäuel im Magen, das so groß war, dass ich Angst hatte, der Fisch könne nicht mehr hineinpassen, und immer wenn ich merkte, dass Ryan mich ansah, machte das Ding einen Satz.
    Ich bestellte mir dummerweise einen Weißwein zum Fisch, der aufgrund meiner gegenwärtigen alkoholischen Vorgeschichte bereits nach ein paar Schlucken Wirkung zeigte. Ich blinzelte, weil ich das Gefühl hatte, mein Lachsfilet hätte sich plötzlich verdoppelt, kniff kurz die Augen zu und schaute noch mal genauer auf meinen Teller.
    „Es tut mir leid, Jo“, sagte Ryan in diesem Moment.
    Ich hob den Blick. „Wie meinst du das? Was tut dir leid?“
    „Ich wollte dich nicht bedrängen. Ich werde von jetzt an die Distanz wahren, versprochen.“
    „Distanz wahren?“, fragte ich und merkte erst dann, worauf er hinauswollte. „Ryan! Nein. Ich … ich meine …“
    „Ist schon gut, Jo.“
    „Nein!“, rief ich. „Ich möchte, verdammt noch mal, nicht, dass du irgendwelche Distanzen wahrst.“
    Jeder Kopf im Raum drehte sich zu mir, und ich spürte, wie ich rot wurde. Ich schaute Ryan an, der mit der Gabel auf halbem Wege zum Mund innegehalten hatte. Die gegensätzlichsten Gefühle spiegelten sich auf seinem Gesicht: Niedergeschlagenheit, Unglaube, Erkenntnis und Heiterkeit.
    „Ach, nein?“, fragte er schließlich seelenruhig und ignorierte die Blicke der anderen Gäste.
    Ich schluckte und drückte gleichzeitig den Rücken durch. „Nein!“, sagte ich etwas leiser, schlug die Augen nieder und griff nach meinem Weinglas.
    Die restliche Zeit über hatte ich das Gefühl, mein Stuhl stünde in Flammen, und ich war sehr froh, als wir endlich das Gasthaus verließen. Das Getuschel der Gäste folgte uns bis vor die Tür.
    Auf dem Weg zum Wagen sagte keiner von uns ein Wort, doch als Ryan mir die Autotür öffnete und ich mich setzen wollte, zog er mich mit einem Brummen, das tief aus seinem Inneren kam, an sich. Seine Lippen waren unglaublich weich und warm, und er schmeckte aromatisch nach dem Bier, das er zum Essen getrunken hatte. Ich spürte seine Brustmuskulatur unter meinen Händen und seine Hände in meinem Haar. Das Knäuel in meinem Magen zerbarst in tausend kleine Teile und verteilte sich in meinem Körper bis hinunter zu den Zehen.
    Als seine Lippen sich wieder von mir lösten, drohten meine Knie einzuknicken, doch Ryan hielt mich mit einem erschreckten Ausruf fest. „Alles okay mit dir?“, fragte er und blickte mir besorgt ins Gesicht.
    „Ja“, sagte ich, „bestens!“, und lächelte weinselig.

Zweiter Teil
    Prüfung
    Der Sinn einer Prüfung wird sich dir nie offenbaren, solange du nicht wenigstens Zweifel vorweisen kannst.

Kurzschluss
    Die Highlands waren tatsächlich ein seltsamer Ort, dachte ich und blickte aus dem Fenster. Ich erinnerte mich an einen Ausspruch von Theodor Fontane, der besagte, er habe nie Einsameres durchschritten – und in dieser Hinsicht gab ich ihm recht. Auf den ersten Blick war es in der Tat die pure Einsamkeit, doch ich war fest davon überzeugt, dass man sich hier trotzdem niemals wirklich allein fühlen würde. Es war, als würden einen die Berge in die Arme nehmen. Vielleicht waren diese Gedanken allein aus Whisky, Wein, Bier und Ryans Küssen geboren und doch … Irgendwie konnte ich Rupert auf einmal verstehen. Was hatten für ihn schon Paläste wie der Louvre oder Versailles, das Pantheon oder das Gewimmel in der Amsterdamer Innenstadt an sich, wenn er diese Vielfalt an Farben, Formen und Strukturen jeden Tag aufs Neue vor Augen hatte. Wenn ich an die vom Rauch der hundert Schlote verschmutzten Städte im Ruhrgebiet dachte oder an den dort niemals ersterbenden Geräuschpegel, hatte ich plötzlich keine Lust mehr, dorthin zurückzukehren.
    „Geht es dir gut?“, fragte Ryan und

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