Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
den Burghof und wurde erst langsamer, als die Seitenstiche mich dazu zwangen. Ich blieb stehen und blickte zurück. Die Burg war nicht mehr zu sehen. Niemand folgte mir.
„Männer!“, fauchte ich und trat mit Schwung den kleinen Ast beiseite, der es gewagt hatte, sich mir in den Weg zu legen. Warum musste ich auch ständig auf solche Mistkerle hereinfallen.
„Verflixte Aufreißer!“, knurrte ich und trampelte weiter durch das Gehölz. „Deine Augen sind blau wie die Seen bei mir zu Hause.“ Ich schnaubte. „Pah! Dass ich nicht lache!“
Mein Gott, Jo! Du bist unbelehrbar wie ein alter Esel!
Ich war jetzt siebenundzwanzig Jahre alt. Hatte schon mehr als eine kläglich gescheiterte Beziehung hinter mir. Wann wollte ich es endlich begreifen? Alle Männer waren so. Im einen Moment holten sie dir die Sterne vom Himmel, und im nächsten traten sie dir in den Hintern, wie es ihnen gerade einfiel. Ich blieb stehen, hob den Kopf und blickte in die Baumkronen. Das Dumme war nur … ich hatte tatsächlich geglaubt, dass Ryan eine Ausnahme war. In meiner eingebildeten Perfektion von ihm hatte ich ihn als absolut fehlerlos dargestellt.
Na, das hatte ja wunderbar geklappt.
Vielleicht sollte ich auch so selbstsüchtig sein, überlegte ich. Mir einfach nehmen, wonach mir gerade war, ohne Rücksicht auf Verluste. Guter Plan!
Ein Geräusch ließ mich zur Seite schauen. Ein Stück weiter voraus hockte eine graugetigerte Katze, die mich vollkommen ignorierte und gerade dabei war, ihre Krallen an einem Baumstamm zu wetzen. Auf einmal erklang ein leises Fiepen – wahrscheinlich eine Maus. Die Katze rollte sich zum Sprung bereit zusammen, trampelte mit den Hinterpfoten und sprang mit einem Satz ins Gebüsch. Weiteres Fiepen ertönte. Einen Moment später tauchte die Katze mit der Maus im Maul aus dem Gebüsch wieder auf, setzte sie sanft auf dem Weg ab und hechtete sofort wieder hinterher, als der kleine Nager das Weite suchen wollte.
„Zehn zu eins, dass du ein Kater bist“, sagte ich und ging weiter.
Ich hatte nicht angenommen, dass ich mich tatsächlich immer weiter von der Burg entfernte, als vor mir auf einmal die Mauern des Cottages auftauchten. Es war größer, als es vom Söller aus den Anschein erweckt hatte. Ich überlegte, ob ich kehrtmachen sollte, doch meine neu gewonnene Egozentrik siegte über meine angeborene Diskretion. Ich ging um das Haus herum zur Vordertür und blieb dort stehen. Anscheinend war niemand zu Hause. Auf den Giebeln des Daches thronte jeweils ein Schornstein, einer davon sandte graue Rauchschwaden in den Himmel. Also war der Bewohner nicht allzu weit weg.
Ich drehte mich um und wanderte den Weg hinunter zum See, setzte mich dort auf den Steg und zog Schuhe und Socken aus. Das Wasser war eisig und kühlte meine Wut ein bisschen ab.
Plötzlich kam Bewegung in die Wasseroberfläche. Drei oder vier Meter von mir entfernt stoben kleine Bläschen nach oben und zerplatzten, bildeten Kreise im Wasser, und etwas Schwarzes tauchte aus den Tiefen auf. Für einen flüchtigen Moment dachte ich an all die Wassergeister, die Rupert in seinen Geschichten erwähnt hatte. Vom Kelpie, dem Wasserpferd, bis hin zu einem riesigen ausgewachsenen Seehund, der sich vor mir das Fell abzog. Vielleicht war es aber auch nur Mackenzie, der mir Gesellschaft leisten wollte, doch für einen Fischotter war das Ding zu groß.
Viel zu groß!
Als es wie ein Geysir aus dem Wasser schoss und ich sah, was es war, schlug ich mir erschrocken die Hände vors Gesicht. Doch der Anblick von gutgeformten Muskeln, einer behaarten Brust und einem ziemlich imposanten Geschlechtsteil hatte sich bereits in meine Netzhaut gebrannt.
„Oh Gott! Das tut mir so leid!“, wimmerte ich laut und rappelte mich unbeholfen auf, während ich mir eine Hand vor die Augen hielt. Meine Gedanken überschlugen sich. Während sich meine Befangenheit mit dem Entsetzen und dem Schreck, dem Anblick des nackten Körpers und der Erkenntnis, dass ich noch nie jemanden gesehen hatte, der so lange die Luft anhalten konnte, um die Vorherrschaft in meinem Kopf stritten, raffte ich Schuhe und Strümpfe an mich und wäre beinahe der Länge nach hingeschlagen, als ich den Steg zurückeilte. „Wirklich! Das tut mir unendlich leid!“, rief ich und wedelte mit meinen Strümpfen wie mit einer weißen Fahne. Hinter mir erklang dezentes Gelächter. Ich linste nach vorn durch meine Finger und entdeckte am Ufer eine Bank. Die steuerte ich nun an, setzte mich mit dem
Weitere Kostenlose Bücher