Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
unterbrach meine Gedanken. Ich blickte ihn an und lächelte.
„Ja, sehr gut sogar. Ich glaube, ich verliebe mich nur gerade in dieses Land.“
Ein Strahlen überzog Ryans Gesicht, und er nickte. „Das ist gut“, sagte er, nickte noch ein paarmal hintereinander, als hätte er eine Entscheidung getroffen, legte die Hände schließlich oben aufs Lenkrad und begann zu reden. „Mein Vater ist der Earl of Laide. Ich habe vier Vornamen: Raibeart Edan Ailbeart Ryan. Raibeart nach meinem Vater, Ailbeart und Edan hießen meine Großväter. Der Name Ryan war ein Wunsch meiner Mutter. Er bedeutet kleiner König.“
„Kleiner König? Das ist hübsch.“
„Aye, und es ist alles, was mir von ihr blieb.“
Ich wartete, ob er noch etwas sagen würde, doch das tat er nicht, also blickte ich wieder hinaus. Auf einem kleinen Plateau thronten die Reste einer alten Burg. Im Grunde genommen war es nicht mehr als ein Haufen Steine, und trotzdem erzählten sie von einer bewegten Vergangenheit. Ihr Anblick allein verriet einem, dass dort vor vielen Jahren Menschen gelebt, geliebt und gekämpft hatten, geboren und gestorben waren. Allein ihre Namen – die wusste nur noch der Wind. Lord Raibeart of Laide …
„Warum hältst du deine Herkunft geheim, als ob sie etwas Monströses wäre?“, fragte ich und sah Ryan wieder an.
Er bewegte die Schultern, als wäre ihm sein Hemd zu eng.
„Ich will damit nichts zu tun haben. Meine Familie habe ich seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Ich telefoniere nur hin und wieder mit meiner Großmutter, manchmal auch mit meiner Schwester.“
„Was ist passiert?“ Ich spürte, dass da noch viel mehr war. Doch auch ich konnte manchmal in seinem Gesicht lesen oder besser in seinen Händen, denn seine Finger hatten das Lenkrad so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel hell aufschimmerten.
„Nein, lass nur“, sagte ich und hob eine Hand, um ihm zuvorzukommen. „Erzähl es mir, wenn du so weit bist, ja?“
Er blickte mich überrascht an, lächelte dann aber und entspannte sich. „Danke, Jo.“
„Wofür?“
„Für deine Geduld.“
Ich schnaubte. „Du weißt ganz genau, dass ich etwa so viel Geduld besitze wie ein Hund beim Anblick einer halboffenen Dose Hundefutter.“
Er lachte leise und nickte. „Aye, deswegen bedanke ich mich ja auch, weil ich weiß, wie schwer es dir fällt.“
„Wie soll ich dich jetzt eigentlich nennen?“, fragte ich.
Er lächelte. „Du kannst mich nennen, wie du möchtest.“
„Bertie ? “
„Nur zu, wenn du zu Fuß weitergehen möchtest, sag es ruhig.“
Ich lachte. „Also nicht. Ähm, wie wär’s mit – Rabby?“
Er verzog das Gesicht. „Nein, besser nicht.“
„Okay. Ähm, da bleibt leider nur noch Mylord übrig.“
„Alles, nur nicht das, Joanna .“
Ich genoss es sehr, wenn er meinen Namen mit seinen seltsamen, schottischen Untertönen verknüpfte. Dadurch bekam er irgendwie den Beiklang eines schlüpfrigen Liebesliedes.
„Dann müssen wir wohl leider bei Ryan bleiben“, meinte ich, unterdrückte ein Kichern und lehnte mich zurück.
„Damit bin ich sehr einverstanden.“
Ein paar Minuten später spürte ich, wie er meine Hand nahm. Nach einer Weile ließ er sie zwar wieder los, doch ich trug die Wärme seiner Haut noch an mir, als wir zurück waren und Ryan den Wagen vor dem Torhaus parkte.
„Was ist?“, fragte ich, da er keine Anstalten machte, auszusteigen. Ich folgte seinem Blick und entdeckte einen schwarzen kleinen Sportwagen, der neben einem der großen Rhododendren stand und beinahe von seiner Blütenpracht verdeckt wurde.
„Wem gehört der?“
Ryan schloss für einen Moment die Augen, als ob er sich im nächsten Augenblick in etwas Unausweichliches fügen müsste, und sagte: „Der gehört einer alten … Freundin. Lass uns aussteigen.“
„Freundin?“, wiederholte ich, erhielt jedoch keine Antwort. Ryan wirkte, als ob er auf dem Gang zu seiner eigenen Hinrichtung wäre. Als wir die Burg betraten und er schnurstracks auf die große Halle zuhielt, folgte ich ihm voller Neugier und böser Vorahnungen. Letztere bewahrheiteten sich, kaum, dass ich die Türschwelle übertreten hatte.
„Ryan!“, flötete eine Frau, steuerte geradewegs auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihn auf den Mund.
Der Teufel sollte mich holen, wenn diese blonde Femme fatale eine alte Freundin war, denn in diesem Kuss lag alles andere als ein freundschaftliches Gefühl.
Ich machte auf dem Absatz kehrt, rannte durch die Vorhalle hinaus in
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