Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
eindringlich an, als gäbe er mir noch eine letzte Chance, das Ganze abzublasen, und dann kam sein Gesicht behutsam näher.
Ich schloss die Augen.
Er küsste anders als Ryan. Irgendwie zögerlich, was wahrscheinlich daran lag, dass er erwartete, im nächsten Moment eine schallende Ohrfeige zu erhalten. Ich schob meine freie Hand unter sein Haar und legte sie in seinen Nacken, um ihm zu zeigen, dass ich dies keineswegs vorhatte. Zur Belohnung wurde er mutiger. Ich ließ es zu, dass er sein Bier abstellte, seine Hände um meine Taille legte und mich auf seinen Schoß zog. Ich spürte, dass er sich zurückhielt, dass er es mir überließ, zu entscheiden, wie weit es gehen sollte.
Ich bekam Lust auf mehr, was zwar in Anbetracht seines Körpers und seines Talents zum Küssen keine wirkliche Überraschung war, aber doch so unvermutet, dass ich vor Schreck innerlich zusammenzuckte. Marlin ging es anscheinend nicht anders. Er löste sich ein wenig von meinen Lippen, um tief durchzuatmen, und raunte mir mit schwerer Stimme ins Ohr: „Wenn wir jetzt nicht aufhören, Jo, lege ich dich ins Gras.“
„Hören wir auf?“, fragte ich und suchte erneut nach seinen Lippen.
„Vielleicht sollten wir das“, murmelte er zwischen zwei Küssen.
„Ja, das sollten wir.“
„Das wäre vernünftig.“
„Ja.“ Ich setzte mich auf und blickte ihn an.
Seine Augen schimmerten in einem tiefen, beinahe schwarzen Dunkelblau. Sein Oberkörper hob und senkte sich unter meinen Händen in erregten Atemzügen. Sein Blick glitt von meinem Gesicht abwärts …
Scheiß drauf!, dachte ich und küsste ihn.
„Ich habe dich gewarnt, mein Mädchen“, murmelte Marlin und schob seine Hände unter meine Kleidung.
„Das hattest du“, bestätigte ich, ohne Luft zu holen.
Marlins Arme schlangen sich um meinen Körper, dann erhob er sich langsam von der Bank. Er ging ein paar Schritte und ließ uns beide sicher und sanft ins Gras gleiten.
„Bist du dir sicher, dass du das tun willst?“, fragte er leise und schaute mir dabei tief in die Augen.
Ich war mir gar nicht sicher, um ehrlich zu sein. Aber ich war mir mein ganzes Leben lang in so vielem anderen sicher gewesen, und jedes Mal hatte es sich am Ende als Irrtum entpuppt. Ich dachte an Ryan und an unseren Kuss – und dann sah ich seine Hände, die sich auf die Hüften dieser Frau legten. Nein! Dieses Mal würde ich nicht auf die Stimme in meinem Kopf hören, die bereits jetzt mit dem Rest meines Körpers in ein Streitgespräch über Moral und Entgleisungen verwickelt war. Als Antwort auf Marlins Frage zog ich mir das Hemd über den Kopf, und ein paar Minuten später kapitulierte mein Verstand und verabschiedete sich auf unbestimmte Zeit.
Und noch einer …
Der Himmel sah aus wie gemalt. Er war tiefblau, die Wolken aus rosa Zuckerwatte. Der Abend zog herauf, und das verbliebene Licht hatte eine Klarheit an sich, die allem eine Art Umriss verlieh, als hätte jemand mit einem schwarzen Stift nachgeholfen. Ein wohliger Seufzer, der seinen Ursprung irgendwo ziemlich weit südlich hatte, stieg in mir auf wie eine Champagnerperle, um schließlich in absoluter Zufriedenheit meiner Kehle zu entrinnen.
Leises Lachen erklang neben mir. Ich drehte mich zur Seite. Marlin lag auf dem Rücken, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen.
„Warum lachst du?“, fragte ich und fuhr ihm mit den Fingern durchs Brusthaar.
„Du hörst dich an wie eine Katze, die den Sahnetopf gefunden hat.“
Ich lächelte und legte meinen Kopf an seine Schulter, woraufhin sich sein Arm wie von Zauberhand um mich legte und einer seiner Finger mir das Rückgrat entlangstrich. Ich bekam eine Gänsehaut.
„Ist dir kalt?“, fragte er.
„Nein.“
Sein Lachen war lautlos, doch ich spürte es unter meiner Hand. Er erhob sich halb, drehte sich zu mir und küsste mich. Seine Finger schlichen über meine Haut – von meinem Hals über meine Brust und meinen Bauch bis hinab zu den Schenkeln –, und es fühlte sich an, als ob sie Spuren auf mir hinterließen, die erst nach und nach verschwinden würden.
„Sie werden sich langsam Sorgen machen“, flüsterte er, als sich seine Lippen von meinen lösten.
„Das glaube ich kaum“, antwortete ich ebenso leise.
„Doch, Jo.“
Ich seufzte. „Na ja, vielleicht ein bisschen.“
Marlins Hand glitt zwischen meine Beine, und auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln. „Du bist schlüpfrig wie das Innere einer Auster.“
Vor Schreck und Scham schlug
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