Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
durchlief ein Beben, als würde er etwas von sich abschütteln. „Du hast recht“, sagte er, und ich sah, wie sich seine verkrampften Hände öffneten. Mühsam spreizte er die Finger und ging schließlich mit schweren Schritten an mir vorbei.
Ich blickte ihm nach und fragte mich, ob ich ihn nicht lieber allein weitergehen lassen sollte, als ich ihn rufen hörte: „Los, komm! Gehen wir!“ Ich folgte ihm.
„War es hier?“
„Ja“, sagte ich und glaubte fast die Kälte eines Luftzugs aufs Neue zu spüren. Wir standen am Ende des Korridors, der sich finster vor uns ausdehnte. Die Türen, die ich geöffnet hatte, standen immer noch offen, und aus den Zimmern fiel schwaches Mondlicht auf den Gang. Nicht genug, um etwas erkennen zu können.
„War das Licht vorhin auch aus?“, fragte Ryan.
„Nein, es ist plötzlich ausgegangen, und ich weiß nicht, wo hier die Lichtschalter sind.“
Er ging ein Stück zurück, und ein Geräusch sagte mir, dass er sie gefunden hatte, doch nichts tat sich.
„Warte kurz!“ Es raschelte, als er in seinen Taschen suchte. Anschließend glomm ein Lichtstrahl auf. Es war nur ein kleines weißes LED-Licht an einem Schlüsselbund, doch es erschien mir wie ein Silberstreifen am Horizont. Er ließ das Licht über die Wände und den Boden gleiten. „Moment mal!“, sagte er, drehte sich kurz um und blickte wieder nach vorn in den Gang. „Wenn ich mich nicht täusche, befindet sich hier irgendwo der Verteiler für diesen Trakt.“
„Ist der nicht unten im Keller?“
„Im Keller ist der Hauptverteiler, doch jeder Flügel hat seinen eigenen kleinen Nebenverteiler. Schauen wir nach!“
Es dauerte nicht lange, bis wir hinter einem Wandbehang fündig wurden. Ryan hob den Gobelin von der Wand und öffnete den Kasten. „Die Sicherungen sind rausgesprungen“, sagte er, hob die Hand und hielt plötzlich mitten in der Bewegung inne.
„Ich kann nicht!“ Er ließ die Hand wieder sinken und drehte sich zu mir. Es war zu dunkel, um seinen Gesichtsausdruck erkennen zu können, doch in seinen Augen sah ich einen Schimmer. „Jo, ich …“
„Nein!“ Ich legte ihm die Finger an die Lippen. „Sag es nicht!“
Er küsste meine Fingerspitzen und nahm dann meine Hand von seinen Lippen, ließ sie jedoch nicht los. „Warum nicht?“, fragte er.
„Weil ich weiß, was du sagen willst.“
„Jo!“, sagte er heiser und zog mich an sich. „Hast du auch nur die geringste Ahnung, was es mir abverlangt, dich nicht zu berühren? Dich so nah zu wissen und doch nicht zwischen meinen Händen zu haben? Gib mir nur einen Wink, und ich vergrabe mich so tief in dir, dass du ihn und alles um dich herum vergisst. Einen Wink, Joanna . Nur einen.“ Er hob den Zeigefinger und hielt ihn mir vor die Nase.
Es dauerte eine Weile, bis ich wieder atmen konnte. Mit größter Vorsicht nahm ich seine Hand herunter. „Ich kann nicht“, erwiderte ich und sah ihm in die Augen. „Ich habe schon so viel falsch gemacht. Lass mich diesmal das Richtige tun, bitte!“
„Wer sagt, dass es falsch wäre?“
„Ryan! Du würdest jedes Mal, wenn du mich oder Marlin ansiehst, daran denken müssen. Das weißt du so gut wie ich. Und ich will nicht, dass du mich noch ein einziges Mal so ansiehst, wie du es heute Morgen getan hast.“
„Jo, ich liebe dich!“
„Mach das Licht an, Ryan! Mach schon!“
Eifersucht
Ich bekam kein Auge zu vor Hitze. Es lag nicht am Sonnenbrand. Nein, der war zu ertragen. Es liefen auch nicht auf einmal alle Heizungen und Öfen in der Burg auf Hochtouren. Es lag daran, dass meine Seele brannte – lichterloh.
Sobald ich versuchte zu schlafen, hörte ich Ryans Worte und spürte Marlins Hände, verfolgten mich Ryans grüne Augen und fühlte ich Marlins langes Haar zwischen meinen Fingern. Es war zum Verrücktwerden.
Ryan hatte nichts mehr über mich und ihn oder mich und Marlin gesagt. Nachdem er das Licht in dem Flur wieder eingeschaltet hatte, war er in jeden Raum gegangen, hatte alles überprüft und außer einer durchgeschmorten Glühlampe nichts weiter entdeckt. Schließlich gingen wir wieder zurück zu den anderen, die auch nichts Nennenswertes zu berichten hatten. Danach entschuldigte ich mich, gab vor, müde zu sein, wich Ryans Blicken aus und begab mich in mein Zimmer, wo ich mich mit der Seetangsalbe einbalsamierte und ins Bett legte. Das war jetzt etwa drei Stunden her. Vor einer ganzen Weile schon hatte ich gehört, wie Finn in sein Zimmer gegangen war. Lucas hatte die Nachtwache
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