Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Uhr mittags schlug, öffnete sich die Tür, und Marlin kam herein. „Da vergräbt sie sich bei diesem schönen Wetter in der Bibliothek.“
Er trug eine schwarze, mit Taschen besetzte Hose und ein grobes Baumwollhemd, hatte die langen Haare zu einem Zopf gebunden, der ihm über die rechte Schulter fiel, und das Lächeln in seinem Gesicht reichte aus, um sofort Schmetterlinge in meinem Bauch zu fühlen.
Ich drehte den Kopf und blickte aus dem Fenster. „Heute früh sah es noch so aus wie in einer Waschküche“, sagte ich und lächelte über die Staubkörnchen, die im Sonnenlicht tanzten.
„Bei uns ändert sich das Wetter im Minutentakt, Jo. Ich schätze, wir haben etwa eine Stunde.“
„Wofür?“
Er kam näher und hob einen Korb auf den Tisch, von dem ein Duft ausging, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
„Ailsa hat gesagt, du könntest etwas Abwechslung gebrauchen.“
„Was ist das?“, fragte ich.
„Nach was sieht es denn aus?“
„Nach einem Picknickkorb. Aber ich weiß nicht, ob …“
Bevor ich den Satz beenden konnte, legte er eine Tube Sonnenmilch auf den Tisch.
„Marlin, ich glaube nicht, dass wir das tun sollten.“
„Die ist für dein Gesicht, Jo.“
„Oh!“, sagte ich und wurde rot. „Wie aufmerksam von dir.“
Marlin lächelte und schüttelte den Kopf. „Auch wenn ich nicht so aussehe, Darling, ich kann mich durchaus wie ein Gentleman benehmen – wenn ich will.“
„Du?“, fragte ich ungläubig und lachte.
„Lach du nur! Also, was ist? Das Zeug hier läuft dir schon nicht weg.“ Er hatte beide Arme auf dem Tisch abgestützt und sah mich mit seinen blauen Augen an.
„In Ordnung!“, antwortete ich und linste in den Korb. „Wie das duftet! Was hast du da alles?“
„Keine Ahnung.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Milly hat das für uns zusammengepackt, aber es riecht eindeutig nach Brathühnchen.“
Es war Brathühnchen. Und frisches Brot und Tomatensalat und Kuchen. Nach dem Essen war ich so satt, dass ich mich zurücklehnte und vor dem Anblick der abgenagten Knochen und der Kuchenkrümel die Augen verschloss. Das Abendessen würde auf jeden Fall karger ausfallen, schwor ich und leckte mir die Fingerspitzen ab.
„Ailsa sagte mir, du hättest gestern Abend noch eine, wie soll ich sagen, eine Begegnung der dritten Art gehabt. Willst du darüber reden?“
Mir war nicht ganz klar, ob er von dem Gespenst sprach oder von etwas anderem. Ich öffnete ein Auge und sah ihn an. „Nein, ich will nicht darüber reden“, erklärte ich, nachdem mir sein Gesichtsausdruck sagte, dass er tatsächlich Letzteres meinte, und schloss das Auge wieder.
Plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen.
„Hey!“, murmelte ich. „Hattest du nicht gesagt, du kannst dich wie ein Gentleman benehmen?“
„Ich wollte nur sichergehen.“
Nun öffnete ich doch beide Augen. „Wobei?“, fragte ich.
Marlin lächelte. „Ich wollte wissen, ob du mich noch zurückküsst.“
„Oh, Marlin!“, sagte ich und setzte mich auf. „Dich zu küssen ist stets ein Vergnügen, das kann ich dir versichern. Es ist nur …“ Ich strich mir das Haar aus den Augen und atmete tief durch. „Ich weiß nicht, ob ich mich richtig ausdrücken kann, also hör bitte erst mal einfach nur zu, ja? Ich … ich hatte alles in Schottland erwartet, aber nicht dich oder deinen Bruder. Und vor allem hatte ich nicht vor, mich hier zu verlieben und schon gar nicht in euch beide. Aber ich bin – und das steht fest – auf dem besten Wege dahin. Und ich weiß absolut nicht, wie ich damit umgehen soll.“
„Bereust du es?“, fragte er, und ich wusste sofort, worauf er hinauswollte.
„Nein“, sagte ich und sah ihm tief in die Augen. „Nicht ein bisschen.“
„Dann ist es doch gut, oder nicht?“
„Nein! Das ist es ganz und gar nicht. Ich bin total erschrocken über das, was ich getan habe. Ich bin ja quasi mit einem Fremden ins Bett oder besser ins Gras gestiegen.“
„Falls du dich noch daran erinnerst: Ich hatte dich gefragt, ob du es wirklich willst.“
„Ja, natürlich!“, rief ich aus und nickte. „Und ich wollte es. Ich will es immer noch! Aber … Marlin! Sieh dich doch an! Du bist die schottische Version eines griechischen Halbgottes! Welche Frau würde es nicht wollen!“
„Medusa, schätze ich mal.“
„Und du hast Humor!“, rief ich. „Weißt du, wie selten so was ist? Davon abgesehen, denke ich, dass selbst Medusa ihre Einstellung Männern gegenüber noch mal überdenken
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