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Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryla Krüger
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und dann hörte ich ein leises Lachen. Ich überlegte nicht, sondern stürmte einfach los. Im Treppenturm brannte das Licht noch, und ich lief darauf zu. Ich rannte, ließ Gänge und Treppen hinter mir und wurde erst langsamer, als ich das Stimmengewirr der anderen vernahm und den Lichtschimmer sah, der aus dem Kaminzimmer auf den Boden des Korridors fiel. Ich stoppte kurz vor der Tür ab und rang nach Luft, wartete, bis das Trommeln in meiner Brust etwas abebbte, und trat endlich über die Türschwelle.
    Ryan stand mit Severíne und Lucas vor dem Fenster. Als ich hereinkam, drehte er sich um – ihm genügte ein Blick in mein Gesicht. Er kam sofort zu mir, und nur am Rande nahm ich wahr, dass er Severíne mitten im Satz stehen gelassen hatte.
    „Was ist passiert?“, fragte er, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wo ist Marlin?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Es geht nicht um Marlin.“
    Ryan machte ein Gesicht, als ob ihm die Antwort nicht gefiel, und musterte mich, als wolle er mir widersprechen, doch da trat Finn zu uns. „Was ist los, Jo? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
    „Wenn es eines gibt“, sagte ich, „dann hat es auf jeden Fall einen seltsamen Sinn für Humor.“
    „Was …“, begann Ryan und verstummte, denn hinter mir erklangen auf einmal schnelle Schritte. Ich drehte mich um, als Malcolm auch schon um die Ecke eilte und abrupt vor uns zum Stehen kam. „Hab-habt ihr das g-gehört?“, stotterte er, und sein Gesicht glühte, als wäre auch er um sein Leben gerannt.
    „Wo?“, fragte Ryan.
    „V-vor meinem Zimmer.“
    „Im Westflügel“, sagte ich. „In dem Korridor vor dem Musikkabinett.“
    „Ryan! Wir haben nicht genug Equipment, um diesen ganzen verdammten Kasten auszuloten.“ Lucas fluchte und machte seinem Frust mit einer Handbewegung Luft.
    „Ich weiß“, erwiderte Ryan und griff sich ins Haar. „Egal!“ Er wandte sich um. „Finn! Du gehst mit Ailsa und Malcolm durch die Flure hier im Ostflügel. Lucas! Du prüfst mit Severíne das Untergeschoss. Seht euch den Rundbogen an!“
    „Und du?“, fragte Severíne.
    „Jo und ich gehen in den Westflügel.“
    „Warum gehst du mit ihr?“
    „Weil ich es sage!“
    „Ryan! Das ist …“
    „Severíne!“, fuhr er sie an. „Ich habe keine Lust, jetzt mit dir darüber zu diskutieren, wer hier mit wem wohin geht. Tu, was ich dir sage, und halt um Himmels willen einmal deinen Mund!“
    Severíne presste die Lippen aufeinander und durchbohrte Ryan mit ihrem Blick. Dann wanderten ihre Augen zu mir, und ich war sehr froh, dass Blicke nicht töten konnten.
    Angefangen mit der, die auch Severíne ihm gestellt hatte, hatte ich so viele Fragen an ihn, dass mir der Kopf schwirrte. Doch ich wagte nicht, auch nur eine davon zu stellen. Schweigend wanderten wir durch den Flur in Richtung Westflügel, und das einsame Geräusch unserer Schritte war kaum zu ertragen. Mir kam der Gedanke, ob Ryan mich womöglich mit seiner Wortlosigkeit bestrafen wollte, als er endlich die Stille brach.
    „Wie geht es dir?“ Er wies mit der Hand an mir herab.
    „Es juckt ganz scheußlich“, sagte ich.
    „Hm.“ Er nickte. „Ich kann allerdings nicht sagen, dass es mir leidtut.“
    „Das musst du auch nicht.“
    „Du hast mich angelogen, Jo. Du hast gelogen, als du sagtest, es wäre nichts zwischen dir und Marlin gewesen.“
    „Ja, ich weiß, und das tut mir auch sehr leid. Aber ich … ich wusste, dass du mir nicht glauben würdest, selbst wenn es die Wahrheit gewesen wäre.“
    „Wie konntest du?“, brüllte er ohne Vorwarnung und schlug mit der flachen Hand gegen eine Säule. Voll Zorn sah er mich an. „Wie, Jo? Erkläre es mir!“
    „Was willst du denn von mir hören?“, rief ich zurück. „Was? Soll ich sagen, dass ich an geistiger Umnachtung litt? Bitte schön! Kannst du haben. Alkohol? Meinetwegen auch das. Es ist doch einerlei, wie es geschehen ist, du würdest es sowieso nicht verstehen.“
    „Du verschätzt dich, wenn du denkst, ich wäre so engstirnig.“
    „Ach ja?“, rief ich. „Dann nenn mir doch einen Grund, den du akzeptieren könntest, dann sage ich dir, ob er zutrifft.“
    Seine Augen verengten sich drohend. Er stand da, leicht nach vorn gebeugt, die Hände zu Fäusten geballt, und ich konnte nicht sagen, ob er tatsächlich knurrte, aber es hätte mich nicht gewundert, wenn es so wäre. Wie ein Wolf zum Sprung bereit, schoss es mir durch den Kopf. Auf einmal sackten seine Schultern herab, und ihn

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