Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
getroffen, und es kam heraus, dass Annie Guthrie als Zwölfjährige mit ihrer Mutter aus Irland kam und am 19. Mai 1857 in die katholische Gemeinde von Skyraffin aufgenommen wurde. Ihre Mutter starb zwei Jahre darauf, und Annie kam als Dienstmädchen nach Caitlin Castle.“
„Mit vierzehn?“, fragte ich.
„Das war damals nichts Ungewöhnliches, mein Kind. Zu den Zeiten waren Mädchen oft schon mit siebzehn verheiratet.“
„Verheiratet worden, meinen Sie“, warf Ailsa ein und erntete dafür einen von Pastor Livingstons Blicken.
„Eine Ehe würde dir auch nicht schaden, Ailsa Ferguson.“
„Gott bewahre!“ Ailsa verdrehte die Augen gen Zimmerdecke, und Pastor Livingston holte schon Luft, doch bevor er sich über gottesfürchtige Beziehungen auslassen konnte, ging ich dazwischen. „Meinen Recherchen nach ist Annie 1865 gestorben. Haben Sie darüber etwas finden können? Vielleicht sogar wie sie starb?“
Pastor Livingston hielt inne, und seine buschigen Augenbrauen hoben sich überrascht. „Woher hast du diese Erkenntnis?“
„Nun“, sagte ich. „Ich habe einen Dienstplan gefunden, und ab dem 6. Mai 1865 taucht sie nicht mehr darin auf, da bin ich davon ausgegangen, dass … na, Sie wissen doch, die Gerüchte um ihren Tod. Warum lächeln Sie?“
„Weil sie nicht starb. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Sie hat die Gemeinde am 8. Mai 1865 verlassen und ist zurück nach Irland gegangen.“ Er reichte mir die Fotokopie aus einem Register, in dem das Datum stand und nur ein Wort daneben. Irland.
„Und ich habe noch etwas.“ Pastor Livingston strahlte nun über das ganze Gesicht. Er reichte mir wortlos eine weitere Kopie – eine Heiratsurkunde.
„Oh mein Gott!“ Ich glaubte zu träumen.
„Sie hat geheiratet?“, rief Ailsa aus und beugte sich zu mir. „Wen?“
„Samuel“, murmelte ich.
„Wer ist das?“
„Lord Samuel Norrington“, erklärte Pastor Livingston und lehnte sich zufrieden im Sessel zurück. „Der Sohn des Dukes, dem Caitlin Castle damals gehörte.“
„Das heißt, sie sind gemeinsam weggegangen“, sagte ich völlig in Gedanken. „Sie ist gar nicht gestorben. Samuel war derjenige, dem sie die Briefe schrieb. Samuel war der junge Magier in der Legende der weißen Annie! Oh, Samuel!“ Plötzlich sah ich diesen jungen Mann, der vor so langer Zeit gelebt hatte, in einem ganz anderen Licht. Ein sturer Sohn fürwahr, der sich nichts sagen ließ, schon gar nicht von seinem Vater. Somit nicht gerade der erhoffte Nachfolger für einen Duke – aber klug und neugierig, ein bisschen aufbrausend vielleicht und stolz, aber ehrlich und zu seinem Wort stehend. An irgendwen erinnerte mich das.
„Vater Ramsay sagte mir, dass das damals wohl ein riesengroßes Desaster war.“ Pastor Livingston erhob sich von seinem Platz und ging zur Tür, um Frances um Tee und den guten Scotch zu bitten, kam dann zum Tisch zurück und setzte sich wieder. „Samuels Vater hat nach diesem Eklat das gesamte Personal auf die Straße gesetzt, Caitlin Castle von da an dem langsamen Verfall überlassen, und er hat seinen einzigen Sohn enterbt. Ach, und noch etwas: Angeblich soll es ein Gemälde von Annie geben, das Samuel bei dem Maler John Fallon Fraser, der damals noch in Ullapool lebte, in Auftrag gegeben hatte. Aber ob das noch existiert, weiß heutzutage niemand mehr. Es hieß, es wäre verschollen.“
„Sie haben die Nase eines großartigen Schnüfflers“, sagte ich.
„Aber nein, nicht doch!“, wehrte er ab und lachte. „Ich bin nur jedes Mal schrecklich neugierig, wenn ich einen unbekannten Brief in der Hand halte. Gott mag mir vergeben, aber mein Wissensdurst ist erst dann gestillt, wenn ich alles über die Verfasser und ihre Geschichte weiß. Das bringt mich zu der Frage, ob ich Annies Brief wohl meiner Sammlung zufügen dürfte.“
Ich lächelte. „Das kann ich allein nicht entscheiden, Herr Pastor, aber ich denke, das lässt sich einrichten.“
In diesem Moment tauchte die mürrische Frances mit Tee, einem Teller Sandwiches und Talisker auf, und ich war so guter Dinge, dass ich ihr ein herzliches Lächeln schenkte, das sie erst zusammenzucken ließ, doch dann überraschenderweise erwiderte.
Als wir zurück waren, las ich noch einmal in aller Ruhe Annies Briefe durch und sah sie nun, da ich wusste, an wen sie gerichtet waren, in einem ganz anderen Licht. Ob Samuel diese Zeilen jemals zu Gesicht bekommen hatte, wusste ich nicht, aber ich vermutete, dass dem nicht so war. Ich ging
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