Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
Emmy-Lou kratzte sich an der Stirn. „Milky hat fünf kleine Kätzchen.“ Ihr Gesicht leuchtete auf. „Dann darf ich zwei behalten!“
„Nein. Ich habe dir gesagt, dass du eins behalten kannst.“
Emmy-Lous Augen füllten sich mit Tränen, und ein paar von ihnen liefen unter ihrem Brillengestell hervor über ihre Wangen. „Aber Papa, ich will sie so gern behalten. Ich will nicht, dass das andere Kätzchen auch weggeht. Immer gehen alle weg!“
Instinktiv streckte Hope der Kleinen die Hand entgegen, um sie zu trösten, zog sie aber gleich wieder zurück. Ihr Papa muss sie trösten, nicht ich. Er wird mich noch eine Weile hierbehalten, aber bald werde ich von hier fortmüssen . Bei dem Gedanken kamen auch ihr die Tränen und sie wandte sich schnell ab.
* * *
In der Nacht wachte Jakob auf und lag einen Moment lang mit weit offenen Augen im Bett. Er hatte ein Geräusch gehört. Schnell schlug er das dünne Bettlaken zurück, unter dem er schlief, und schlüpfte in seine Jeans. Die Tür zum Schlafzimmer der Frauen war geschlossen. Er beschloss, die Frauen und Kinder nicht zu stören und ging zur Treppe.
„Jakob?“ Phineas ’ Stimme kam nicht aus dem Arbeitszimmer, sondern aus der Küche. „Bist du das?“
„Warum bist du denn auf?“ Die kühlen Dielen unter seinen nackten Füßen fühlten sich gut an, als Jakob zum Spülbecken ging.
„Ich habe Durst. Außerdem habe ich den ganzen Tag geschlafen, jetzt bin ich hellwach.“
Jakob rieb sich die Augen mit den Handballen und sah Phineas dann mit trübem Blick an. „Du siehst nicht gut aus. Du solltest noch nicht aufstehen.“
Phineas schnaubte abfällig. „Schau selbst mal in den Spiegel.“
„Süßer Tee. Hope hat immer süßen Tee in der Eisbox.“ Jakob trat einen Schritt zur Seite und schob sich an Phineas vorbei.
Doch Phineas hielt ihn auf. Mit rauer Stimmer sagte er: „Ich kenne dich, Jakob Stauffer. Du kannst mich nicht täuschen, indem du das Thema wechselst.“ Er fasste Jakob an die Stirn und raunte: „Du bist heiß! Du hast es auch!“
„Mir geht es gut.“ Es muss mir gut gehen. Herr, bitte lass mich stark bleiben. So viel hängt davon ab.
„Was ist denn hier los?“ Hopes Stimme kam von der Treppe.
„Jakob hat –“
„Durst“, unterbrach Jakob ihn und schaute Phineas finster an.
Hope kam die Treppe herunter. Sie hatte schnell ihr grünes Kleid über ihr Nachthemd gezerrt, was komisch aussah und sie pummelig erscheinen ließ. Und wunderschön. Sie lächelte ihn an. „Ich hole euch beiden etwas süßen Tee. Phineas, was sagt die Uhr?“
„Zwei Uhr siebzehn.“
Hope nickte zustimmend und holte zwei Gläser aus dem Küchenschrank. „Dann könnt ihr beide auch ein bisschen gemahlene Weidenrinde trinken, um das Fieber zu senken.“ Sie drehte sich um und blickte Jakob nachdenklich an. Diesmal schenkte sie ihm kein Lächeln. Darüber musste er unbedingt mit ihr reden. Sobald er nicht mehr so einen Durst hatte, würde er das tun. Hope legte den Kopf zur Seite und sagte: „Du hättest mir ruhig sagen können, dass du dich schwach fühlst, Jakob Stauffer.“
„Ich bin viel zu störrisch, um krank zu werden.“
Endlich lächelte sie ihn doch an. „Du hattest nur Angst, dass ich dann sofort in die Scheune renne und dieses schrecklich stinkende Zeug hole, um dich darin zu baden.“
Er schaffte gerade noch ein Krächzen als Antwort. Wenn sie doch nur aufhören würde, ständig hin und her zu schwanken, dann wäre es einfacher für ihn, sich zu konzentrieren. Das war Jakobs letzter Gedanke, bevor sie sich mit dem Glas in der einen Hand und dem Löffel mit der Weidenrinde in der anderen vor ihn auf die Zehenspitzen stellte und den Löffel in seinen Mund schob.
* * *
Zwei Tage später saß Jakob zusammengesunken am Küchentisch. Er hatte gerade einmal ein Ei und ein paar Löffel Apfelbrei heruntergebracht. Herr, gib mir Kraft. Morgen kommt Konrad, und Annie ist außer sich vor Angst. Ich hätte Annie doch mit Hope und Emmy-Lou wegschicken sollen.
Wie er das hätte bewerkstelligen sollen, entzog sich seiner Vorstellungskraft. Jakob verbrachte seine wachen Stunden damit, sich Vorwürfe darüber zu machen, dass er Hope nicht sofort nach ihrer Krankheit mit den anderen in Sicherheit gebracht hatte. Jetzt war es zu spät. Was für ein Mann bin ich eigentlich? Ich habe die Frau, die ich liebe, meine Schwester und meine Tochter im Stich gelassen. Und meinen Neffen.
Nicht eine Sekunde hatte Hope sich ausgeruht, seit er krank geworden
Weitere Kostenlose Bücher