Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
Rasieren machte er sich immer noch Vorwürfe und war so in Gedanken, dass er mit dem Rasiermesser eine Hautfalte erwischte. Der Alaunstift stillte sofort das Blut. Wenn er nicht schon längst wach gewesen wäre, dann hätte ihn der scharfe brennende Schmerz des Stifts sicher wach gemacht.
Seit Hopes Ankunft hatte sich das Chaos in seinem Haus verändert. Doch die Veränderung war so langsam und kontinuierlich vor sich gegangen, dass ihm einfach nicht aufgefallen war, was direkt vor seiner Nase passierte. Nur weil sie die Dinge anders anging, hieß das noch lange nicht, dass sie nicht getan wurden. Sie war flexibel, aber das bedeutete nicht, dass sie unorganisiert war.
Ich bin nicht gekommen, um hier alles zu verändern. Ich komme nur, um zu helfen. Er erinnerte sich noch an ihre Unterhaltung nach dem ersten Abendessen. Dennoch hatte sie so ziemlich alles verändert ... aber Jakob musste zugeben – zum Guten.
Am Samstagabend war die Ernte auf ihrer Farm wahrscheinlich eingebracht ... dann würde Hope weiterziehen. Sie hatte gesagt, dass sie bis nach der Ernte bleiben würde. Wenn es sich erst einmal herumsprach, wie gut Hope kochte – dann würden andere Farmer sich um ihre Dienste reißen. Selbst wenn er sie überzeugen könnte, bis zum Dreschen zu bleiben, dann wäre das höchstens noch eine weitere Woche oder so – jedenfalls nicht lange genug. Er musste sie überreden, noch länger bei ihnen zu bleiben, aber würde sie zustimmen? Sie musste auch an ihren eigenen Unterhalt denken.
In Gedanken legte er sich die richtigen Worte zurecht und ging die Treppe hinunter. Doch als er sie nicht in der Küche fand, verlor er den Faden, und jetzt stand er auf der Veranda bei ihr und redete über Stiefel. Das war ja alles schön und gut, aber –
„Ich muss wieder an den Herd. Der Haferbrei brennt sonst an.“
„Warte.“ Er konnte die Gelegenheit nicht einfach verstreichen lassen, ohne mit ihr geredet zu haben. „Ich wollte –“
„Uuups! Ich höre Ihre Schwester. Entschuldigen Sie mich.“ Sie schlüpfte an ihm vorbei in die Küche. „Guten Morgen, Annie! Es scheint, als seien heute morgen alle auf Goldsuche.“
„Was sagst du? Wer will Gold suchen?“
Jakob öffnete die Tür. „Niemand, hoffe ich. Ich denke, Hope sprach von der Morgenstunde.“
„Genau. Morgenstund’ hat Gold im Mund.“ Hope wusch ihre Hände an der Pumpe in der Küche.
Jakob und Annie wechselten einen erstaunten Blick. Diesmal stimmte das Sprichwort.
Hope bemerkte ihre Überraschung gar nicht, sondern trocknete sich die Hände ab. „Wenn es um Gold geht, sind doch die meisten Menschen gleich. Jeder will der Erste sein, je früher, desto besser. Eigentlich bin ich ziemlich froh, dass es hier in der Gegend kein Gold gibt. So müssen wir doch alle ganz normal weiterarbeiten.“
„Ich mache Frühstück“, sagte Annie und sah zum Herd. „Du hast ja schon angefangen.“ Ihre Stimme klang enttäuscht.
„Ja. Aber ich sag dir was: Wenn du den Haferbrei ab und zu umrühren könntest, damit er nicht anbrennt, und die Milch und die Buttermilch schon mal auf den Tisch stellst, dann kann ich schnell noch ein paar andere Sachen erledigen.“
„Hope hat recht. Es ist immer noch sehr früh. Habe ich noch Zeit, die Kühe vor dem Frühstück zu melken?“
„Ich kann den Haferbrei vom Herd nehmen und den Deckel drauf-lassen, dann bleibt er heiß.“ Annie kaute kurz auf ihrer Unterlippe – bevor sie mit Konrad verheiratet gewesen war, hatte sie das nie getan. Die Geste zeigte, wie unsicher sie war und wie schnell sie nervös wurde.
„Ich habe eine Idee. Warum melken Phineas und ich nicht jeder eine Kuh. Dann sind wir alle gleichzeitig fertig. Er kann dann den Stall ausmisten, wenn ich in die Stadt fahre.“
„Tante Annie? Miss Hope? Papa?“ Bei jedem Namen wurde Emmy-Lous Stimme etwas schriller.
Jakob rief nach oben: „Wir sind schon alle hier unten, Liebling . Komm runter zu uns.“
„Papa?“ Es lag immer noch ein Anflug von Panik in ihrer Stimme.
„Ich komme und hole dich.“ Hope klang vollkommen ruhig, und doch flog sie förmlich die Stufen hoch. „Ich muss sowieso meine Haarnadeln holen. Ich hab sie doch glatt vergessen.“ Einen Augenblick später hörte Jakob ihre Stimme von oben, wie sie mit Emmy-Lou redete. „Schau mal da. Siehst du den hübschen kleinen Zaunkönig da draußen?“
„Es ist noch zu dunkel. Ich kann ihn nicht sehen.“
Jakobs Muskeln verkrampften sich. Am liebsten wäre er auch die Treppe
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