Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
krampfhafte Schlucken bestätigten ihre schlimmsten Ängste.
Sie hob die Hand und wedelte sie hin und her – wie eine Lehrerin, die die Tafel wischt. „Sie müssen gar nichts sagen. Ich möchte nicht, dass Sie ein Versprechen brechen. Ihr Schweigen sagt mir mehr als tausend Worte. Wenn meine Befürchtung nichts weiter wäre als eine zu lebhafte Fantasie, dann hätten Sie mich gar nicht so lange reden lassen.“
Hope spürte einen heftigen Stich im Herzen. Sie atmete zitternd ein und richtete sich auf. „Ich werde für Ihre Schwester beten. Wenn es irgendwas gibt – egal was – das ich für sie tun kann, dann sagen Sie es mir einfach.“
Jakob atmete tief ein und langsam wieder aus, als wüsste er immer noch nicht, was er sagen sollte. Doch dann sah er sie endlich direkt an. In seinem Blick lag eine Entschlossenheit, die sie vorher noch nie gesehen hatte. Hope wiederholte: „Sie müssen mir nur sagen, was ich tun kann, um ihr zu helfen. Ich kenne sie ja noch nicht lange, aber trotzdem ist Ihre Schwester eine Freundin für mich.“
„Ich möchte, dass du auch nach der Ernte noch bleibst – nicht nur bis das Dreschen vorbei ist, sondern bis Annie ihr Baby hat und danach noch zwei Wochen, bis sie wieder auf den Beinen ist.“
Die Worte, die aus seinem Mund kamen, rührten etwas tief in Hope an. Sie wusste, dass es das Richtige war – so wie sie sonst wusste, was Gott von ihr wollte. Die ganze Zeit schon hatte sie sich gefragt, wie Annie allein nach der Ernte zurechtkommen sollte. Diese Sorgen musste sie sich jetzt nicht mehr machen.
„Ich weiß, dass meine Bitte weit über unsere ursprüngliche Abmachung hinausgeht, aber das wäre wirklich etwas, was du für meine Schwester tun könntest.“
„So etwas mache ich normalerweise auch nicht.“ Hope runzelte leicht die Stirn. „Aber irgendwie widerspricht es gar nicht der Vereinbarung, die wir am Anfang getroffen haben. Sie haben mir damals gesagt, dass Annie die Frau in Ihrem Hause ist und dass ich ihr helfen soll. Deshalb ist es dann doch irgendwie Teil unserer Abmachung. Ich werde Annie, bevor ich gehe, den gesamten Haushalt so organisieren, dass sie eine ganze Weile nicht viel zu tun haben wird.“
Er starrte sie überrascht an. „Das würdest du tun?“
„Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich da hingehe, wo Gott mich hinschickt und wo die Menschen mich brauchen. Und diesmal ist es halt eine Frau, die mich braucht. Ich bleibe so lange, bis Annie ihr Baby hat und wieder auf den Beinen ist.“
„ Gut. Sehr gut.“
Gut? Es war schrecklich, dass Annie von ihrem Mann nicht geliebt wurde. Aber Gott hatte ihr einen starken, liebevollen Bruder gegeben, der sich um sie kümmerte. „Mr Stauffer? Ich werde niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über Ihre Schwester erzählen. Sie haben mein Wort.“ Hope schaute erstaunt auf das blaue Tuch, das er aus seiner hinteren Hosentasche fischte und ihr reichte. Erst da merkte sie, dass sie geweint hatte.
„Es gibt noch etwas, das du wissen solltest.“
Hope klammerte sich an das Tuch, um sich für das zu wappnen, was jetzt kommen würde.
Jakob räusperte sich. „Konrad – der Mann meiner Schwester – wusste nicht, dass Annie schwanger war, als ich sie von ihm weggeholt habe.“
* * *
Dutzende hart gekochte Eier füllten die Schüsseln und große Kannen mit starkem Kaffee dufteten in der dämmrigen Morgenluft. Berge von knusprigem Speck und Teller voller Kuchen standen bereit. Jakob trank schnell den Rest seiner zweiten Tasse Kaffee in der Hoffnung, dass er ihn wach machen würde. Er hatte in der Nacht kaum ein Auge zugetan.
Bisher hatte es auf der Farm genug zu tun gegeben, und den Rest der Zeit hatte er versucht, Annie so gut es ging zu helfen und ihre Angst zu vertreiben. Der Alltag verschlang seine ganze Kraft. Doch jetzt, da Hope hier war und half, keimte zum ersten Mal die Hoffnung in ihm auf, dass sein Leben einmal wieder anders werden könnte. Mehr so wie früher. Trotzdem war die Zukunft immer noch ungewiss. Wie lange würde er das Baby vor Konrad verschweigen können? Was würde Konrad tun? Jakob schaffte es jeden Monat nur mit Mühe und Not, seinem Schwager die geforderte Summe Geld zu zahlen, damit er sich von Annie fernhielt.
„Gott ist doch großzügig. Schaut doch mal auf die reifen Felder da draußen hinaus. Jeder Halm steht mit einer vollen Weizenähre stolz und gerade an seinem letzten Morgen da. Der Anblick ist so wunderschön, dass ich am liebsten meine Hände heben und eine Million
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