Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
Umfallen arbeiten solltest.“ Sie blickte bedeutungsvoll auf Annies gerundeten Bauch. „Und da wir beide gerade allein hier sind, kann ich ganz offen sein: für mich siehst du aus, als würdest du jeden Moment umfallen.“
Annies Körper verkrampfte sich wieder. „Nein. So weit ist es noch nicht. Ich kann immer noch etwas tun. Wirklich. Was soll ich tun? Sag es mir einfach, und ich mache es.“
Hope dachte nach. Etwas Kleines. Leichtes. Einfaches. „Wir haben uns die ganze Zeit nur ums Kochen gekümmert. Morgen werden alle Nachbarsfrauen herkommen und beim Mittagessen helfen. Vielleicht will eine von ihnen für uns auf dem Klavier spielen? Wenn du ein Tuch mit etwas Milch befeuchtest und die Tasten damit polierst, dann sieht das Klavier morgen aus wie neu. Solche Kleinigkeiten machen am Ende dann doch viel aus, findest du nicht?“
Annie nickte. „Ich werde mich gleich darum kümmern.“ Aber sie sah Hope nicht in die Augen.
Manche Leute waren ängstlich. Schüchtern und unsicher. Gott gab jedem ein anderes Temperament. Vielleicht war es nur das – Annie Erickson war einfach schüchtern und zurückhaltend. Hope versuchte sich einzureden, dass Annie nur erschöpft und müde war. Außerdem gab es genug Frauen, die schon bei dem Gedanken an all die hungrigen Mäuler der Erntehelfer am liebsten die Flucht ergreifen würden. Und doch wollen sie ein üppiges, leckeres Essen für alle vorbereiten, um sich bei den Helfern zu bedanken und sie zu locken, bei der nächsten Ernte wiederzukommen.
Doch nichts von alledem erklärte Annies Verhalten. Annie entschuldigt sich für jede kleinste Kleinigkeit. Als Emmy-Lou ihre Milch umgekippt hatte, und als das Bild von der Wand gefallen war – immer gab sich Annie die Schuld und sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Schwangere Frauen sind zwar immer sehr emotional, aber ... Hope schüttelte den Kopf.
Annies ängstliche Stimme unterbrach ihre Gedanken. „Stimmt etwas nicht?“
Hope ergriff ihre Hand und drückte sie. „Ist es in Ordnung, wenn ich kurz mal nach Hattie schaue? Ich will nur sehen, ob sie auch gut für deinen Bruder arbeitet. Ich wollte ihn schon beim Mittagessen fragen, aber ich habe es glatt vergessen.“
„Ja, sicher. Geh nur.“
Hope ging die Verandastufen hinunter und lief zum Feld. Überall um sie herum stand der reife Weizen wie ein Meer aus Gold. Sie sah sich auf dem Feld um, um sicherzugehen, dass Phineas nicht in Hörweite war und stapfte dann zu ihrem Boss. Sie bahnte sich einen Weg durch den dicht stehenden Weizen, der nach Sonne, Erde und frischem Brotteig roch. Doch diesmal fand Hope keinen Trost in dem Geruch, der sie sonst immer mit Gelassenheit und Glück erfüllte. „Mr Stauffer, ich würde gerne kurz mit Ihnen reden.“
Er hörte mit der Arbeit auf und drehte sich zu ihr um. Mit einem zerknüllten roten Tuch wischte er sich über die Stirn und den Hals.
„Sie winken mit Ihrem roten Tuch schon wie bei einem Stierkampf, deshalb fange ich einfach an.“
Er nickte kurz.
„Früher hatte ich eine Freundin. Als wir noch ziemlich klein waren, brachte ihr Papa ihr eines Tages einen kleinen Hund. Er hatte ihn vor einem Mann gerettet, der den Hund schrecklich behandelt hat. Nun, dieser kleine Hund war nie so wie andere Hunde. Es dauerte mehr als ein Jahr, bevor er nicht immer nur herumschlich und sich versteckte. Außerdem duckte er sich immer ängstlich, wenn ihn jemand streicheln wollte.“ Sie beobachtete Mr Stauffers Gesicht, doch er schwieg.
„Also, Ihre Schwester ist eine sehr nette Frau, und ich würde nie etwas Schlechtes über sie sagen. Aber ich habe schon genug gesehen, um zu wissen, dass manche Männer durch und durch böse sind. Solche Männer benutzen ihre Worte oder ihre Kraft, um die niederzumachen, die sie eigentlich lieben sollten.“
Sag mir, dass ich mich irre. Sag mir, dass Annie nur ängstlich ist und sich wegen dem Baby Sorgen macht.
Eine Weile hörte Hope nur den Wind, der durch den Weizen blies.
„Annie hat nichts gesagt, aber tief in mir ist so ein trauriges Gefühl. Und das Gefühl sagt mir, dass Annie verletzt worden ist.“
Hope wünschte sich, dass er ihr widersprach und ihr versicherte, dass mit Annie alles in Ordnung sei. Doch das passierte nicht. Mr Stauffers Griff um sein Tuch wurde verkrampfter. Dann starrte er über ihre Schulter in die Ferne. Bisher war er ihrem Blick noch nie ausgewichen. Seine Kiefernmuskeln verkrampften sich. Der sorgenvolle Blick in seinen Augen und das
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