Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
Sie rückte näher zu Emmy-Lou.
„Wir müssen nach Hause.“ Mrs Richardson winkte ihre Töchter zu sich.
„Ich auch.“ Lena faltete ein feuchtes Geschirrtuch und legte es auf den Küchentisch.
„Sie haben mir heute alle sehr geholfen. Annie und Mr Stauffer und ich – wir sind Ihnen sehr dankbar. In den nächsten Tagen werde ich genauso hart auf Ihren Farmen arbeiten.“
„Wir sehen uns morgen in der Kirche.“ Mrs Richardson griff nach ihrer Kuchenplatte, die zwischen all dem anderen Geschirr auf dem Tisch stand.
Emmy-Lou schrie begeistert auf und umarmte Lottie heftig. „Miss Hope, sie hat gesagt, dass ich das Buch bis morgen haben kann. Dann bringen wir es mit in die Kirche!“
„Das ist aber lieb von dir, Lottie!“
Jetzt hatten es die Frauen eilig. Zu Hause wartete die normale Hausarbeit auf sie und zusätzlich noch die Arbeiten, die samstags erledigt werden mussten, damit Sonntag wirklich ein Ruhetag war. Hope brachte Emmy-Lou in ihr Bett und sah sich dann prüfend in der Küche um. Großmama hatte ihr Versprechen gehalten und die größeren Kinder den ganzen Tag mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt. Die Eier waren eingesammelt, die Hühner gefüttert, das Gemüse geerntet, das Unkraut gejätet, der Garten gewässert, die Butter gemacht und die Veranda gefegt. Hope setzte sich für einen Moment hin und trank die letzten Schlucke ihres Eistees.
Ihr Blick fiel auf das Buch. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Es hatte die Form eines Kirchenfensters mit einem Bogen. Man musste das Buch in der Mitte öffnen und konnte dann auf beiden Seiten lesen. Die kunstvollen Bilder umrahmten das mittlere Bild, das aussah wie eine Bühne in einem großen Theater. An der Seite waren schwarz-weiße Bilder, auf denen man die Zuschauer des Stücks sah. Aschenputtel . Hope kannte das Märchen. Langsam blätterte sie das Buch durch und genoss die Geschichte – obwohl die Worte vor ihren Augen völlig durcheinandergerieten und zu undurchschaubaren Linien und Punkten wurden. Wenn Annie später nach Hause kam und Emmy-Lou aufgewacht war, konnten sie die Geschichte zusammen lesen.
In der Zwischenzeit holte Hope etwas von der frischen Milch und kochte sie. Dann fügte sie Essig hinzu und gab alles in ein Sieb, das sie mit einem Mulltuch ausgelegt hatte, damit die Molke abtropfen konnte. Der fertige Ricotta-Käse würde ihnen allen morgen Mittag gut schmecken. Sie füllte einen weiteren Topf und wiederholte die Arbeitsschritte. Dann drückte sie den weichen Käse im Tuch zusammen, damit noch mehr Molke abtropfen konnte. Anschließend presste sie den immer noch heißen Ricotta zwischen zwei Tellern aus, damit auch der letzte Rest Flüssigkeit abtropfen konnte. Sie erinnerte sich noch daran, wie ihre Mutter den Ricotta-Käse gemacht hatte und ihn dann aufs Brot, in den Salat oder auf Gemüse streute.
Schließlich kam Annie mit einem ausgebeulten Mehlsack von der Forsaken-Ranch zurück. Sie schüttete den Inhalt auf den Tisch. „Du wirst mir kaum glauben. Sydneys Nähmaschine ist ein Wunderwerkzeug. Sieh dir das an!“
Vorsichtig hob Hope eine weiche, flauschige Decke hoch. „Gute Güte! Die Stiche sind ja winzig und alle genau gleich. Wie lange hast du denn dafür gebraucht?“
„Ich habe vier davon in einer Viertelstunde gemacht!“
Ungläubig starrte Hope auf die drei anderen Decken auf dem Tisch. „Ich hätte nie geglaubt, dass du alle drei gemacht hast. Ihr hattet doch auf so viele Babys aufzupassen, da hätte ich erwartet, dass du höchstens eine Decke schaffst. Wir müssen unbedingt noch die Windeln und ein paar mehr Decken zurechtschneiden, damit du nächste Woche weitermachen kannst.“
Schuldbewusst senkte Annie den Kopf und den Blick. „Ich habe fast nichts für das Baby gemacht. Das war dumm von mir.“
„Ich dachte, du würdest sowieso Emmy-Lous alte Sachen benutzen. Die müssen ja hier noch irgendwo sein.“
Annie nickte, konnte Hope aber immer noch nicht in die Augen schauen. „Eine gute Mutter sollte Kleider für ihr Baby machen.“
„Bisher hatten wir mit der Ernte genug zu tun. Außerdem hast du ja noch ein paar Wochen.“
Annie drehte die kleine Decke in der Hand hin und her und murmelte: „Velma sagt, dass Babys kommen, wann sie wollen, auch wenn die Mütter noch nicht bereit sind.“
„Selbst wenn dein Baby kommt, bevor alles fertig ist, wäre das auch kein Problem. So heiß, wie es jetzt ist, reicht ihm doch eine Windel.“ Hope tat so, als würde sie die Sorgenfalten auf Annies
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