Ein Schuss Liebe kann nicht schaden
verderben.“ Mitleid erfüllte Hopes Augen und Stimme. „Ich hätte es auch gar nicht für mich behalten können – schließlich geht es hier um Ihre Familie. Außerdem hab ich gedacht, dass Jesus ja auch am Sabbat geheilt hat. Deshalb wollen Sie mit Emmy-Lou auch sicher gleich morgen früh, wenn der Hahn kräht, zu einem Arzt.“
Jakob fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schnitt eine Grimasse. „Ich würde den Doktor hier noch nicht mal in die Nähe meiner Tiere lassen.“
„Velma hat so was gesagt. Er soll nicht besser als ein Quacksalber sein. Ich hatte gehofft, sie meinte nur die Geburten.“
„Ich versuche allen Menschen eine Chance zu geben. Ärzte können auch nicht alles. Doch selbst wenn sie ihr Bestes geben, reicht das oft nicht. Der Doktor hat z. B. das gebrochene Bein von Tyson’s Junge behandelt.“
Hope zuckte zusammen. „Der arme Junge, der immer noch humpelt und dessen Fuß nach außen steht?“
Jakob nickte. „Es war ein schlimmer Bruch. Als es passierte, hat der Doktor sogar damit angegeben, dass er das Bein retten konnte und nicht amputieren musste. Doch dann hat er Gänsefett und Asche in die tiefe Brandwunde an Slim Garners Arm gerieben, und der ganze Arm hat sich entzündet und die Wunde hat schlimm geeitert. Velma hat ihn gerade noch so durchgekriegt. Seitdem hat der Doktor noch andere Sachen gemacht, die nur zeigen, dass er eigentlich keine Ahnung hat. Ich würde nie mit meiner Tochter zu ihm gehen.“
„Wo wollen Sie sie dann hinbringen?“
Jakob durchforstete sein Gedächtnis nach einem Arzt, zu dem er Emmy-Lou bringen konnte. „Abilene! Fuller drüben von der Forsaken Ranch ist wegen seinem Rheuma nach Abilene geritten. Er sagte, dass ihm der Arzt dort wirklich geholfen hat.“
Hope steckte ihre geballten Fäuste in die Schürzentasche. „Gut.“ Sie warf einen schnellen Blick auf die Badewanne. „Ich geh wieder auf die Veranda und häkele noch ein Weilchen, und Sie legen sich jetzt in die heiße Wanne.“
„Nach dir.“
Sie schüttelte den Kopf. „Mr Stauffer, Sir, Sie müssen so schnell wie möglich ins Bett, damit Sie morgen frisch und ausgeruht sind. Ich werde sowieso nicht schlafen können. Dann kann ich auch draußen noch eine Weile beten.“
„Ja. Bete für uns.“
Später lag Jakob mit offenen Augen in seinem stockdunklen Schlafzimmer und starrte an die Decke. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als dass seine arme, mutterlose Tochter langsam blind wurde. Emmy-Lou hatte jetzt schon schreckliche Angst vor der Dunkelheit, wie würde das erst werden, wenn sie gar nichts mehr sehen konnte? Herr, bitte, lass meine Tochter nicht blind werden.
Dutzende Erinnerungen tauchten vor seinem inneren Auge auf, in denen Emmy-Lou gegen etwas gelaufen war, ihre Milch umgeschüttet oder sich die Augen gerieben hatte. Ich hätte es merken müssen. Was ist, wenn es jetzt zu spät ist? Wenn ihre Augen nicht mehr zu retten sind, nur weil ich nicht besser auf sie geachtet habe?
Er hörte unten ein Geräusch. Hope war schon lange fertig mit ihrem Bad, deshalb konnte er auch wieder in die Küche. Er musste unbedingt etwas tun, um seinen Gedanken zu entfliehen.
„Mr Stauffer, Sir. Sicher sind Sie genauso unruhig wie ich. Kann man ja auch verstehen. Es macht keinen Sinn, wach im Bett zu liegen und mit seinen Gedanken zu kämpfen.“ Hope knetete einen Teig.
Worte waren unnötig. Er wollte nicht über seine Ängste reden. Stattdessen holte er den Schleifstein aus einer Schublade. Eines nach dem anderen schärfte er die Messer. Und Hope backte. Ab und zu schüttete sie frischen Kaffee in die Tasse, die sie für ihn auf den Tisch gestellt hatte. Stellte ihm ein belegtes Brot hin. Legte ein paar frische, warme Haferkekse für ihn auf den Tisch.
Als er langsam die letzte Messerschneide vom Schleifstaub befreite, sagte Hope: „Sie und ich – wir haben einen Pakt geschlossen, um das Leben für Ihre Schwester leichter zu machen. Ich denke, dieser Pakt schließt Ihre Tochter jetzt mit ein.“
Jakob sah sie liebevoll an. „Das habe ich mir schon gedacht.“
Sie zog ihre Schürze aus und legte sie auf den Tisch. Naomi hatte ihre immer an einen Haken gehängt – genauso wie Annie. Hope steht so früh auf und geht so spät ins Bett, da ist es mir noch nie aufgefallen, dass sie ihre nicht aufhängt. Zu seiner Verwunderung nahm Hope jetzt die Zimtdose und streute etwas davon auf die Schürzenbänder und rieb das Pulver ein. Wahrscheinlich bemerkte sie seinen verwirrten
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