Ein schwarzer Vogel
plötzlich und begann zu weinen. Sie versuchte ihr Schluchzen mit einem Taschentuch, das sie aus ihrer Handtasche zog, zu unterdrücken. Aber während sie sich ihrem Kummer hingab, fiel ihr plötzlich etwas anderes ein. Sie senkte das Taschentuch, hob ihre tränenden Augen zu Sharpies und ließ im Tempo von dreihundert Worten pro Minute einen Schwall Spanisch auf ihn los. Was ihr auch in den Sinn gekommen sein mochte, Sharpies wollte nun einmal nicht darüber reden. Er hob die linke Hand mit einer Bewegung, als weise er etwas weit von sich, und stieß einen kurzen Befehl aus. Auch ohne Spanisch zu können, war sein nachdrückliches Nein für mich nicht mißzuverstehen.
Danach gab sich die Frau wieder ihrem stillen Schluchzen hin, und Sharpies beendete seine Liste.
»Was mache ich jetzt damit?« fragte er.
Ich deutete auf den Polizisten an der Tür. »Geben Sie ihm die Liste, und sagen Sie ihm, daß Buda sie haben will.«
Sharpies tat, wie ich ihm geraten hatte.
»Damit dürften wir hier fertig sein«, sagte ich und ging zur Tür. Sharpies drehte sich um und wartete auf ein Zeichen des Polizisten. Der winkte mit der Hand, um anzudeuten, daß wir gehen könnten, wohin es uns beliebte.
Auf dem halben Wege zur Treppe fiel Sharpies noch etwas ein, und er wollte sich noch einmal an die Haushälterin wenden.
»Lieber nicht«, warnte ich ihn leise. »Sie haben Ihr Glück schon genug herausgefordert. Wenn Sie zurückgehen und wieder mit der spanischen
Quasselei anfangen, wird sogar dieser dämliche Polizist Verdacht schöpfen.«
Mit der Miene beleidigter Unschuld fragte Sharpies scharf: »Was wollen Sie mit dieser Bemerkung sagen?«
»Daß es jetzt besser für Sie ist, wenn Sie das Haus verlassen. Sonst nichts.«
»Trotzdem. Ihre Bemerkung gefällt mir nicht«, erwiderte Sharpies. Aber er ging weiter, die Treppe hinunter, durch das Haus und auf die Straße hinaus..
Sechstes Kapitel
EINE ARME WAISE
D raußen im Wagen sagte Sharpies: »Lam, ich möchte Sie jetzt zu Shirley Bruce mitnehmen. Ich will der erste sein, der ihr Camerons Tod mitteilt, und ich will herausbekommen, was es mit dem verdammten Kollier auf sich hat.«
»Mir soll es recht sein. Es war in unserem Preis einbegriffen.«
Seine Hand zitterte, als er den Motor anließ, und das Getriebe knackste laut beim Einschalten des Ganges. Bei der zweiten Kreuzung übersah er das rote Licht und berührte mit der Stoßstange den hinter ihm haltenden Wagen, als er zurücksetzen wollte.
»Soll ich nicht lieber fahren?« fragte ich.
»Ja, bitte. Ich bin doch etwas stark mitgenommen.«
Wir wechselten die Plätze, und Sharpies dirigierte mich in ein vornehmes Wohnviertel des Westens. An unserem Ziel angekommen, fragte ich ausdrücklich nochmals, ob ich mitkommen solle. Er bejahte meine Frage.
Als Shirley Bruce die Tür öffnete, sah sie mich zuerst gar nicht. Mit einem Freudenschrei stürzte sie sich auf Sharpies, und ohne seinen Versuch zu beachten, die Würde zu wahren, schlang sie beide Arme um seinen Hals und schlenkerte mit einem Fuß in der Luft. »Onkel Harry«, rief sie und küßte ihn stürmisch und nahezu leidenschaftlich auf den Mund, ehe sie ihm Gelegenheit gab, zu sagen: »Shirley, ich möchte dich mit... einem Freund...bekannt machen. Dies ist Mr. Donald Lam.«
Sofort ließ sie Sharpies los, errötete und sah mich einen Moment verlegen an. Dann reichte sie mir die Hand und bat uns, hereinzukommen und Platz zu nehmen.
Sie war dunkelhaarig und rassig. Sie erinnerte an den Glanz und das Feuer eines schwarzen Opals. Ihre Figur wäre für Titelseiten großer Illustrierten ein erstklassiger Blickfang gewesen. Sie hatte herrliche Augen und wohlgeformte Beine. Zwischen hohen Backenknochen saß ein keckes Stupsnäschen und darunter ein zierlicher Mund. Die Ausdrücke ihrer Empfindungen glitten über ihr Gesicht wie die Schatten dahinziehender Wolken über eine Landschaft. Nach den ersten stürmischen Wallungen zeigte sie sich nun sehr gesetzt, aber das hatte wohl nicht viel zu bedeuten.
Mit ihrem Taschentuch entfernte sie den Lippenstift von Sharpies’ Gesicht. Dann bearbeitete sie ihren Mund mit dem Lippenstift vor dem. Spiegel der Puderdose. Sie legte so viel Rouge auf ihre Lippen, bis sie wie überreife Erdbeeren aussahen, die zum Hineinbeißen verlockten. Während dieser Verschönerungsprozedur plauderte sie ununterbrochen.
»Es war höchste Zeit, daß du dich wieder mal bei mir sehen läßt, Onkel Harry. Es ist eine Ewigkeit her, daß ich dich
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