Ein schwarzer Vogel
muß Pancho sich bei mir mit dem Holzschuppen nebenan begnügen.«
»Wieso ist die Krähe jetzt bei Ihnen?«
»Nun, Pancho und ich sind alte Freunde. Er verbrachte immer den halben Tag bei mir.«
Ich bat sie, mir mehr von dem Vogel zu erzählen.
»Mein Vater hieß Frank. Die Krähe wurde nach ihm genannt. Pancho heißt auf spanisch Frank.«
»Dann kannten Sie also auch Mr. Cameron näher?«
»Aber ja.«
»Schon lange?«
»Ich kannte ihn schon als Kind.«
»Kennen Sie Harry Sharpies?«
Sie nickte zustimmend.
»Auch Shirley Bruce?«
»Ja, ich kenne Miss Bruce. Aber wir sind nicht... nun, ich sehe sie nicht oft. Wir sind einander nicht sehr gewogen.«
»Und Robert Hockley?«
»Ja, ihn kenne ich auch.«
»Das finde ich alles recht interessant.«
Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Ich fürchte, ich werde Sie enttäuschen. Es steckt keine besondere Geschichte dahinter. Mein Vater war Verwalter einer Mine von Cora Hendricks. Als Miss Hendricks starb, war ich noch ein Kind. Ich kann mich also nicht an sie erinnern. Mein Vater wurde drei oder vier Jahre später bei einem Unglück im Bergwerk getötet. Mr. Cameron und Mr. Sharpies, die zusammen das Hendrickssche Vermögen verwalten, hingen sehr an meinem Vater und waren von seinem Tod tief betroffen. In gewisser Weise glauben sie, daß...nun, ich nehme an, ihm sind die ersten Erfolge des Unternehmens zu verdanken. Große Einnahmen aus der Goldmine wurden erst drei oder vier Jahre nach dem Tod von Miss Hendricks erzielt.«
»Die Krähe kennt Sie also?«
»Aber ja. Wir sind gute Freunde. Sehen Sie, Pancho fliegt gern herum, und da eine Krähe Bewegungsfreiheit haben soll, hatte Mr. Cameron es oben in seinem Hause so eingerichtet, daß sie kommen und gehen
konnte, wie sie wollte. Ich konnte ihr nur den alten Holzschuppen bieten. Dort habe ich einen Käfig für sie aufgestellt und eine Scheibe aus dem Fenster entfernt. So kann Pancho zu mir kommen, wann er will. Manchmal setzt er sich auf das Schuppendach und ruft nach mir. Dann gehe ich hinaus und spreche mit ihm, und er setzt sich auf meine Schulter und läßt sich mit kleinen Leckerbissen füttern. Wenn ich nicht zu Hause bin, fliegt er hier in seinen Käfig und wartet auf mich oder fliegt auch zu Mr. Cameron zurück. Aber seit drüben diese schreckliche Sache passiert ist, ist er nur hier. Pancho fühlt sich nun sehr einsam. Wollen Sie ihn sehen?«
»Ja, sehr gern.«
Sie führte mich hinter das Haus zu einem kleinen Schuppen, der nicht größer als drei Meter im Quadrat war und in dem alte Koffer, Kisten, Feuerholz, ein paar abgefahrene Autoreifen und einige Holzkloben herumlagen.
»Heutzutage wird ja überall mit Gas geheizt«, erklärte sie. »Meine Wirtin im Vorderhaus hat zwar einen Kamin, aber ich glaube, sie benutzt ihn nie. Pancho muß in seinem Käfig sein. Komm her, Pancho, wo bist du?«
Jetzt erst bemerkte ich in einer dunklen Ecke den Krähenkäfig. Er war ein genaues Gegenstück zu dem Käfig, den ich in Camerons Haus gesehen hatte. Als sie lockte, rührte sich der Vogel, aber ich konnte ihn in der dunklen Ecke nicht erkennen. Dann kam er aus dem Käfig gehüpft und flatterte mit schlagenden Flügeln auf Miss Grafton zu, und als er mich beäugte, hüpfte er plötzlich mit einem merkwürdigen Flattern zur Seite.
»Na, komm, Pancho«, lockte sie wieder und streckte ihm einen Finger entgegen.
Die Krähe verdrehte den Kopf, um mich mit ihren Perlaugen zu betrachten: »Lügner«, krächzte sie und gab komische Laute von sich.
»Aber Pancho, das tut man doch nicht. Das ist unartig. So benimmt sich doch eine gute Krähe nicht. Komm her zu mir«, lockte Miss Grafton wieder.
Vorsichtig hüpfte die Krähe auf sie zu und blieb auf dem Brennholz vor ihr sitzen.
»Nun komm doch. Mr. Lam will sich mit dir anfreunden. Er möchte gern etwas über dich wissen. Komm her und sprich freundlich mit ihm.«
Die Krähe machte einen weiten Hüpfer und landete mit einem raschen Flügelschlag auf ihrem ausgestreckten Finger. Miss Grafton kraulte sie mit der anderen Hand unter der Kehle und sagte beiläufig: »Pancho haßt es, wenn man ihm die Hand auf den Kopf legt. Damit kann man ihn strafen. Man braucht nur die Hand auf seinen Kopf zu legen, dann bekommt er geradezu Anfälle. Alle Vögel hassen es, eingesperrt zu sein. Pancho gerät förmlich in Panik, wenn etwas über seinem Kopf ist. Wahrscheinlich fürchtet er, daß er dann nicht mehr fort kann. Nun komm, Pancho, und sage Mr. Lam >GutenTag<.«
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