Ein Sehnen Im Herzen
aber er nahm an, dass es ihr kaum auffiel, da sie Stuart von klein auf kannte und verehrte. Oder falls doch, genoss sie es vielleicht, da für ein Mädchen, das Stuart schon so lange liebte, wie sie es tat, jede Beachtung besser war als gar keine.
Als James sie jetzt im Kerzenlicht betrachtete, stellte er fest, dass es keinen Unterschied machte, ob Emma ein Ballkleid oder einen Morgenmantel trug. Ob in schlichter Baumwolle oder kostbarer Seide, sie war die schönste Frau, die James kannte.
Als er ihr jedoch ins Gesicht sah und dort immer noch die Sorgenfalte entdeckte, stieß er einen Seufzer aus.
»Es ist nur für eine Nacht, Emma«, sagte er. »Bei meiner Mutter werden wir natürlich getrennte Schlafzimmer haben. Jetzt komm schon ins Bett. Wir haben einen langen Tag vor uns.«
Dann drehte er sich auf die Seite und erstickte mit angefeuchteten Fingern die einzige Kerze, die das kleine Zimmer erhellt hatte.
Erst als es völlig dunkel war, setzte sich Emma in Bewegung und tastete sich im Schutz der Dunkelheit zum Bett vor. Wie James feststellte, legte sie nicht ein Fädchen von ihrer Kleidung ab, hob nur die Bettdecke und glitt darunter, wobei ihr geringes Gewicht die Matratze kaum einsinken ließ. Ein leichter Hauch von Lavendel wehte zu ihm herüber, als ihr Kopf auf das Kissen neben seinem sank.
Und dann war da nichts mehr. Nichts außer dem leisen, fast unhörbaren Geräusch ihrer Atemzüge und der Wärme natürlich, die ihr zierlicher Körper ausstrahlte und die er trotz der fünfzehn Zentimeter, die sie trennten, deutlich fühlte.
Emma, die steif wie ein Brett neben James im Dunkeln lag, fragte sich, wie all das möglich sein konnte. Wie in aller Welt war es dazu gekommen, dass sie neben James Marbury im Bett lag? Es war ihr völlig unbegreiflich.
Aber es war passiert - passierte noch - und es schien nichts zu geben, was sie deswegen tun konnte, es sei denn, einen kindischen Wutanfall zu bekommen, was sie unter gar keinen Umständen tun würde. Nein, sie würde mit der Situation genauso erwachsen und nüchtern umgehen wie James. Er sollte sie nicht für unnötig prüde halten. Sie war entschlossen, sich wie ein vernünftiger Mensch zu benehmen.
Nur... Er sah so gut aus in seinem seidenen Morgenrock! Es erleichterte sie mehr, als sie sagen konnte, dass er das Licht ausgemacht hatte und sie nicht länger mit dieser verwirrend männlichen Schönheit konfrontiert wurde. War es denn wirklich zu viel von Stuarts Cousin verlangt, einfach durchschnittlich oder jedenfalls nicht besser als Stuart auszusehen? Warum musste James der attraktivste Mann sein, den sie je gesehen hatte? Warum zog es ihren Blick unwiderstehlich zu der Stelle, wo sein Morgenmantel über der Brust auseinander fiel und einen Flaum dichter, dunkler Haare freigab? Warum beschäftigte sie sich mit der Frage, ob er unter diesem Morgenmantel wohl ein Nachthemd trug?
Natürlich war die wichtigere Frage, warum sie auf einmal so fasziniert von James Marbury war. Lag es nur an diesem einen Kuss? Bis zu der atemberaubenden Umarmung an ihrem Hochzeitstag hatte Emma James nie als Mann gesehen - na ja, nicht wirklich. Vorher war er... einfach James gewesen, der zuverlässige, manchmal tadelnswerte James, Stuarts älterer Cousin.
Aber jetzt...
Jetzt war James plötzlich viel mehr. Er war nach Faires gekommen, um das Grab seines Cousins zu suchen. Gefunden hatte er die verarmte Witwe seines Cousins.
Aber hatte James kehrtgemacht und war nach London zurückgefahren? Keineswegs. Er hatte sie nicht nur aus einer mittlerweile ziemlich unerfreulichen Situation befreit, was Lord MacCreigh anging, sondern auf seine Art versucht, in einer Weise für ihr Wohl zu sorgen, wie es Stuart, der keinen Kopf für praktische Dinge hatte, nie in den Sinn gekommen war. Nicht, dass Emma, wie sie sich versicherte, James' Hilfe oder die eines anderen Manns gebraucht hätte - ausgenommen vielleicht, was Lord MacCreigh betraf. Trotzdem schien James sehr viel daran zu hegen, dass sie gut versorgt war, auch wenn er dafür große Unannehmlichkeiten auf sich nehmen musste.
Und dafür war sie ihm wirklich sehr dankbar.
Aber warum konnte sie dann nicht an all das Gute denken, das James für sie getan hatte, statt daran, wie sich seine Lippen auf den ihren angefühlt hatten? Warum konnte sie sich nicht darauf konzentrieren, wie aufmerksam es von ihm gewesen war, dieses köstliche Abendessen für sie zu bereiten, statt daran, wie umwerfend er im Morgenmantel aussah? Hatte Stuart
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