Ein Sehnen Im Herzen
Blick auf seine hochgewachsene, männliche Gestalt, die für Stuarts Sessel ein wenig zu kräftig geraten war, sagte Emma sich, dass sie albern war. Natürlich hatte er vor, wieder auf der Bank zu schlafen. Etwas anderes konnte ihm gar nicht vorschweben. Ihre Verbindung war schließlich eine reine Formsache. War nicht er es gewesen, der von Annullierung gesprochen hatte - beinahe in einem Atemzug mit seinem Heiratsantrag?
Er wollte auf der Bank schlafen. Ja, natürlich wollte er das.
Und gerade als sie sich in diesem Punkt beruhigt hatte, tauchte in ihrer Erinnerung wieder jener Kuss - dieser verflixte Kuss! - auf. Angenommen, er gab ihr einen Gutenacht- kuss? Sie würde ihm natürlich die Wange hinhalten. Aber angenommen, er verfehlte aus irgendeinem Grund ihre Wange und landete wieder auf ihrem Mund? Das wäre immerhin möglich. Und angenommen, hier im Cottage passierte dann dasselbe wie auf Castle MacCreigh und sein Kuss verdrängte wieder alles andere aus ihrem Bewusstsein? Weckte wie schon heute Vormittag dasselbe wilde, unbezähmbare Verlangen in ihr, dieselbe Sehnsucht...
Nun, Emma war sich nicht ganz sicher, welche Sehnsucht James' Kuss in ihr geweckt hatte. Das hieß, im Grunde wusste sie es schon, aber der Gedanke war zu beschämend, um ihn sich einzugestehen. Denn es bewies nur, was Stuart immer von ihr behauptet hatte: dass sie viel zu heißblütig war. Sie sollte ihre Gedanken wirklich höheren Dingen als körperlichen Freuden zuwenden.
Aber es war erschreckend, dass der Kuss eines Mannes - insbesondere der eines Mannes wie James Marbury- eine so starke körperliche Reaktion bei ihr hervorrufen konnte.
Und dann dachte sie, es wäre vielleicht besser, wenn sie sich gleich zurückzog, noch bevor Roberts ging. Ja, solange Roberts hier war, würde es zweifellos nur zu dem züchtigsten aller Gutenachtküsse kommen. Bestimmt würde sie in seiner Anwesenheit nicht so auf James' Kuss reagieren wie am Morgen im Schloss - nicht zweimal an einem Tag!
Und daher stand sie auf - so hastig, dass sie beinahe ihr Weinglas umgestoßen hätte, wenn Roberts es nicht festgehalten hätte - und sagte: »Nun, da morgen sicher ein langer Tag für uns wird, möchte ich jetzt lieber zu Bett gehen. Gute Nacht, Mylord.«
Sie reichte ihre rechte Hand dem Earl, der zusammenzuckte und sich hastig erhob.
»Aber es ist noch früh am Abend«, bemerkte er ein wenig erstaunt.
»Ja«, erwiderte Emma. »Aber hier auf dem Land steht man mit den Hühnern auf.« Oder versuchte es zumindest, in den seltenen Fällen, wenn die Hühner nicht ausgerissen waren. »Gute Nacht, Mylord. Und danke für das köstliche Mahl und... und für die Heirat.«
Als sie die Worte hörte, klangen sie ausgesprochen seltsam in ihren Ohren. Und doch meinte sie es so. Es war sehr nett von Lord Denham gewesen, sie zu heiraten. Er nahm ihretwegen viele Unannehmlichkeiten auf sich, und sie wollte ihm zu verstehen geben, dass sie das wirklich zu schätzen wusste. Gleichzeitig aber wollte - nein, musste sie eine gewisse Distanz zu ihm halten. Andernfalls würde diese beunruhigende Anziehungskraft, die der Earl neuerdings auf sie ausübte, ziemlich schwer in den Griff zu kriegen sein, dessen war sie sicher. Oh, warum konnte sie ihre Gedanken nicht auf Höheres richten, wie es Stuart immer so mühelos gelungen war?
James starrte leicht verwirrt auf ihre Hand und nahm sie in seine. Aber statt sie zu schütteln, zog er sie an seine Lippen - eine seltsam romantische Geste, fand Emma, deren Puls einen Moment lang aussetzte und dann schneller denn je schlug, als sie diese Lippen auf ihrer Haut spürte, die für einen Mann, der dafür bekannt war, von seinem Verstand beherrscht zu werden, sehr warm schienen.
»Gute Nacht, Emma«, sagte er. Im Licht des prasselnden Feuers sah sein Gesicht anziehender aus, als es Emma je erschienen war. Es war, als hätte irgendetwas diese Züge wei c her gemacht, dem Mund, der immer so hart und kompromisslos gewesen war, neue Jugend und dem Blick, der früher kühl und abschätzend gewirkt hatte, neue Zärtlichkeit verliehen.
Auf dem Gesicht des Earls zeigte sich allerdings nicht der leiseste Hinweis, dass er etwas anderes als aufrichtiges Interesse - ein anderes Wort fiel Emma nicht ein, um es zu beschreiben - für ihr Wohlergehen empfand.
»Schlaf gut«, sagte James, wobei sein Atem ihre Haut kitzelte. Seine Augen glommen im Schein des Feuers wie Bernstein, wie die Augen einer Katze. Nein, eher wie... wie die Augen eines Tigers. Emma
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