Ein seltsamer Ort zum Sterben
Es beachtete ihn überhaupt keiner mehr. Sogar Bill war verschwunden.
Herman rannte einen vollen Kilometer durch den Urwald, in das winzige Dorf, zum Boot am Ufer. Ritchie bemannte die M- 60 und ließ blindlings in den Wald schießen, um Deckung zu geben, aber er wusste nicht, ob da überhaupt jemand war.
Trevor saß noch immer aufrecht hinter dem Mönch.
Sobald sie an Bord waren, legte das Boot ab, und schon bald waren sie mitten auf dem Fluss.
Doch es war noch nicht vorbei.
Der Mönch wendete das Boot, um stromabwärts fahren und eine größere Distanz zwischen sie und das, was da womöglich in den Büschen hockte, zu bringen.
Herman rammte eine Morphinspritze in Sauls Hauptschlagader und klebte dann Verbandmull auf die Arterien am Oberschenkel.
Diese Erstversorgung hielt Saul noch drei Tage am Leben, während das Boot zurück zum Hafen fuhr, doch er erlangte das Bewusstsein nicht wieder.
Sheldon saß auf der Bank neben Trevor. Es gab nichts, was er für Saul hätte tun können – den Sohn, der einst aufrecht auf seinen Oberschenkeln stand und mit der Intensität eines Wissenschaftlers seine Nase erforschte und dann den Zeigefinger in die Freudentränen seines Vaters steckte.
Teilnahmslos sah er zu, wie das Boot um eine Ecke bog und auf eine Reihe hölzerner Flöße zusteuerte. Er riss die Augen auf, als Maschinengewehrfeuer, das von just diesen Flößen her kam, auf den Bootsrumpf niederprasselte.
Als die Kugeln auf sie einzuprasseln begannen, ließ der Mönch das Steuer los.
Trevor, der bereits aufgesprungen war, machte einen Satz nach vorn und packte es, hielt mit irrsinniger Geschwindigkeit auf das erste Floß zu.
Wie in Trance ging der Mönch zum Bug des Bootes, stellte sich aufs Vorschiff und streckte dann die Arme empor wie ein brasilianischer Klippenspringer oder ein segnender Jesus.
Ritchie metzelte eines der Flöße mit der M- 60 nieder. Splitter und Blutfontänen schossen in einer kleinen Wolke hoch.
Herman kümmerte sich um Saul, Trevor steuerte das Boot, und der Mönch stand da, unberührt von dem Durcheinander und dem Lärm, während Saul verblutete.
Das war das letzte Bild, das Sheldon im Traum vor Augen stand. Es war auch das, mit dem er in jener Nacht erwachte, als es zum Gespräch mit Mabel kam und er die Frage stellte. Das, mit dem er noch immer jeden Morgen erwacht. Irgendwie ist ihm nie so richtig klargeworden, wie es dann weiterging. Er weiß, dass das Boot schließlich in Sicherheit gelangte. Saul wurde nach Saigon gebracht und starb dort im Krankenhaus. Der Brief wurde wie versprochen abgeschickt, und Rhea bekam ihren Namen. Trevor und Herman blieben bis zum Ende des Trips auf dem Boot und fuhren dann nach Hause.
Der Mönch wurde nie von einer Kugel getroffen. Doch eines Tages, in einem anderen Gefecht, stürzte er sich angeblich in den Fluss und tauchte nicht mehr auf.
10. Kapitel
Sie nähern sich dem kleinen Ort Flaskebekk von der Hafenseite her, und Sheldon steuert so dicht wie möglich am Ufer entlang. Er hofft, dass die Küstenwache sich nicht besonders für ein kleines Boot interessiert, das in Ufernähe entlangschippert. Das Wetter bleibt stabil, und die Strömung ist nicht stark.
Natürlich hat er keine Ahnung, was sich unter der Oberfläche verbirgt, aber einer der großen Vorteile des kleinen Flachbodenbootes ist sein geringer Tiefgang. Es mag kein besonders seetüchtiges Boot sein, aber es ist leicht zu manövrieren.
Die Gewehre, die er braucht, heißen Moses und Aaron. Die Kanonen, nach denen sie benannt sind, befinden sich, wenn der Reiseführer recht hat, den Sheldon während der Fahrt durchblättert, in der Festung Oscarsborg auf einer nicht allzu weit entfernten Insel vor ihnen, Søndre Kaholmen. Offenbar schickten die Deutschen am 9 . April 1940 ein 14 000 -Tonnen-Kriegsschiff namens Blücher in den Oslofjord, um die Hauptstadt anzugreifen, den König gefangen zu nehmen und die nationalen Goldreserven zu stehlen. Obwohl die Festung Oscarsborg nur spärlich bemannt war und über bescheidene Verteidigungsmöglichkeiten verfügte, waren darin drei Kanonen Krupp’scher Fertigung mit einem Durchmesser von 28 Zentimetern namens Moses, Aaron und Joshua und außerdem ein Kommandant, der die Herausforderung gern annahm.
Als das Schiff in der Nähe von Drøbak in den Sund einfuhr, beschossen Colonel Birger Eriksen und die wenigen Männer, die er kommandierte, die Blücher aus knapp zwei Kilometern mit Moses und Aaron. Sie gaben nur zwei Schüsse ab, aber die
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