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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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geschluchzt.»
    «Ich war an einem sicheren Strand. Du bist allein im Dschungel. Dieser arme Mann hier …»
    «Komm schon. Hilf mir, ihn da loszumachen.»
    «Saul, sei doch vernünftig. Die Vietcong wissen, dass du kommst, um den Piloten zu holen. Sie wissen es, und die Chancen stehen fifty-fifty, dass sie vor dir hier waren.»
    «Warum erschießen sie mich dann nicht?»
    «Weil ein Verletzter weggetragen werden muss, und auf die Art setzen sie gleich zwei oder drei Mann außer Gefecht anstatt nur einen.»
    «Warum fangen sie mich dann nicht?»
    «Woher zum Teufel soll ich das wissen?»
    Und dann wurde Saul wütend, und alles spitzte sich zu. «Dort hängt ein Schwarzer vom Baum. Ein Schwarzer, der ein amerikanischer Soldat ist. Wie könnte ich ihn da hängen lassen? Wie kann ich mich einfach umdrehen und gehen? Erklär mir, wie ich mich da einfach umdrehen und trotzdem dein Sohn bleiben kann.»
    Genau in diesem kostbaren Augenblick wusste Sheldon nicht, was er sagen sollte.
    Daher schwang sich Saul das Gewehr über die Schulter und begann den Baum hinaufzuklettern.
    Als er hoch genug war, zog er sein Messer und schnitt die Schnüre und die Ballonseide ab. Die Füße des Piloten baumelten nur gut zwei Meter über dem Boden. Es war kein langer Sturz. Übelkeit überkam Sheldon, als der Mann zu Boden plumpste.
    Beim Zusehen spürte er die ersten Wellen der Resignation aufsteigen. Er war so viele Male bei diesem Einsatz dabei gewesen, hatte dies so oft passieren sehen, das er sowohl wusste, wann das Grauen kam, als auch, wie es kam. Es würde bald geschehen. Gleich würde sich Saul den einzigen Pfad zu dem Flugzeug bahnen, und Herman würde ihm auf diesem Pfad entgegenkommen, nachdem er einige Landkarten und Dokumente verbrannt hatte, damit dem Feind keine strategischen Papiere in die Hände fielen.
    Er wusste, was passieren würde. Und trotzdem war es in diesem Augenblick noch nicht geschehen. Er befand sich zwischen dem Wissen und der Realität dessen, was geschehen würde – genau wie Kassandra, kurz bevor sie den Verstand verlor. Es war tatsächlich ein kostbarer Augenblick. So kostbar, dass Sheldon ihn aufschob und sich gestattete, jede Nacht im Bewusstsein dessen, was geschehen würde, zu schlafen.
    Während dieses Augenblicks – als Saul vom Baum sprang, sein Messer wegsteckte und die Erkennungsmarken des Piloten in die linke Brusttasche seines Hemds gleiten ließ – sah Sheldon zu, wie sein Sohn zum Mann wurde.
    Es war kein großer Moment. Es gab keine Zeugen. Kein heroisches Beiwerk. Es war nur eine kleine Geste des Anstands und Respekts zwischen einem Mann und einem anderen, und doch lag für Sheldon darin die Möglichkeit einer besseren Welt begründet. Alles, was wir bis dahin erreicht hatten – so wenig das auch sein mochte –, konzentrierte sich in den unbezeugten und vergessenen Anstrengungen von Corporal Saul Horowitz, der die sterblichen Überreste von Lieutenant Eli Johnson barg.
    Es gab also kurz vor dem Ende diesen Augenblick der Gnade.
    Und in diesem Augenblick setzte Sheldon die Kamera ans Auge und schoss ein Bild von den beiden.
    Das Geräusch des Auslösers gab den Anstoß dafür, dass die Zeit weiterlief. Sheldon sah zu, wie Saul auf den Stolperdraht trat, der die Explosion auslöste, bei der sein einziges Kind ums Leben kam. Er sah von einer Stelle neben dem Pfad direkt zu ihrer Linken aus zu.
    Als es geschah, kam Herman hinter ihm auf Saul zugerannt.
    Die Vietcong hatten die Bomben mit Nägeln, Kugellagern und – perverserweise – Patronenhülsen amerikanischer Gewehre aus einem früheren Gefecht bestückt, die sie vom Boden aufgelesen hatten.
    Der Schrott zerfetzte Saul die Beine, den Unterleib und den Bauch.
    Bevor sich die Schmerzen auf seinem Gesicht abzeichneten, brach er zusammen, denn da gab es keine Knochen, Muskeln oder Gelenke mehr, die ihn aufrecht hielten. Lieutenant Johnsons Leiche glitt seitlich vom Weg zu Boden und sollte nicht von seinen Landsleuten geborgen werden. Nur seine «Hundemarke» gelangte, in Sauls Tasche, zurück in die USA , zu seinen Eltern, in den Sarg, in dem sie schließlich beerdigt wurde.
    Herman schrie auf und brach beinahe augenblicklich in Tränen aus. Er packte Saul bei den Hemdaufschlägen und hievte ihn mit der Kraft des Entsetzens auf seinen Rücken, genau wie Saul Johnson und Donny Mario getragen hatten, so wie Männer einander seit jeher tragen.
    Die Schießerei begann, als Herman zu rennen anfing.
    Niemand schaute mehr zu Sheldon hinüber.

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