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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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er würde kommen und ihn ihr wegnehmen. Der Kosovo ist jetzt frei. Ein neuer Staat. Ein neuer Anfang. Zeit, neu zu beginnen. Den Jungen wieder dorthin zu bringen, wo er hingehört. Die Früchte unserer harten Arbeit zu ernten. Seit Norwegen den Kosovo im März anerkannt hat, war die Sache für sie gelaufen – das Universum hatte sich gegen sie verschworen. Vielleicht versteckt sie den Jungen bei den Serben. Ist doch irgendwie nachvollziehbar, oder? Und vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um das Kästchen zurückzuholen, oder?»
    «Warum fragen wir nicht einfach Zezake? Setzen ihn darauf an?»
    Kadri wird sehr ernst. «Weil Zezake eine Killermaschine ist. Er ist kein Columbo. Seid ihr überhaupt alt genug, um euch an Columbo zu erinnern? Na, egal. Jedenfalls benutzt man ein Messer, um jemanden zu erstechen. Wir aber brauchen jetzt eine Lupe, um Sherlock Holmes zu spielen. Das ist ganz was anderes. Eine Allzweckwaffe, das gibt’s nicht. Hat mir mein Vater beigebracht.»
    Burim und Gjon schauen einander fragend an. Schließlich meint Burim: «Okay. Klingt irgendwie logisch. Aber wie soll das gehen? Rufe ich einfach die Serben an und sage: ‹Hey, habt ihr den Jungen gesehen? Würde es euch was ausmachen, wenn er mit seinem Vater zurück in den Kosovo käme, jetzt, wo wir den Krieg gewonnen haben? Ach, und übrigens, tut mir leid wegen eurer Schwester.›»
    «Die Welt ist klein», sagt Kadri. «Fragt einfach ein bisschen herum. Aber unauffällig, ist das klar?»
    Burim und Gjon nicken beide. Dann sagt Gjon: «Wie?»
    Kadri seufzt und reibt sich das Gesicht. «Muss ich es für euch buchstabieren?»
    «Ich glaube schon, ja.»
    «Romeo und Julia. Findet einen Jungen und ein Mädchen aus unterschiedlichen Lagern, die es miteinander treiben. Der Serbe oder die Serbin soll dann herausfinden, ob die serbische Gemeinde den Jungen beschützt. Zum Dank erzählen wir den Eltern nichts. Und die Eltern bringen sie oder ihn nicht um. Klingt doch schlüssig, oder?»
    Gjon, der älter als Burim ist und sich gut an das alte Land erinnert, nimmt eine von Kadris Zigaretten und zündet sie an. Er lehnt sich zurück und inhaliert tief. «Was ist mit mir?»
    Kadri stochert in seinem Backenzahn. Er zieht den Finger wieder heraus, schaut ihn an, guckt enttäuscht. «Ich hätte nichts dagegen, an den Inhalt des Schmuckkästchens zu kommen.»
    «Was ist denn drin?», fragt Gjon.
    «Sachen, die Senka aus dem Kosovo mitgenommen hat. Sachen, an die wir nicht erinnert werden wollen. Es ist Zeit, zu vergeben und zu vergessen, wisst ihr. Man soll keine schlafenden Hunde wecken.»
    «Das könnte uns ziemlich schnell über den Kopf wachsen», meint Gjon. «Wie du schon sagtest, die Welt ist klein.»
    Kadri nickt. «In den letzten zehn Jahren hat es vierhundert Mordfälle in Norwegen gegeben. Das sind vierzig oder fünfzig pro Jahr, in einem Land mit viereinhalb Millionen Einwohnern. Nicht gerade viel. Über 95 Prozent der Fälle haben die Bullen sofort gelöst. Bei über achtzig Prozent der Fälle handelte es sich um einen Mann zwischen dreißig und vierzig, der eine Frau mit einem Messer erstochen hat, und meistens kannten sie sich. Enver hat das Mädchen erdrosselt. Die Sache ist uns ohnehin schon entglitten. Und sie werden ihn fangen, wenn wir ihm nicht helfen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Sache unauffällig zu Ende gebracht wird. Seht zu, dass ihr den Jungen findet. Bringt ihn über die Grenze. Nehmt ein privates Boot nach Estland. Von dort ist es dann so easy, wie in eine ukrainische Hure reinzuflutschen. Und wenn wir es geschickt und unauffällig anstellen, können wir schön hierbleiben.» Kadri lächelt. «Bei den Zimtschnecken. Und den Zottelstiefeln.»
    Burim saugt die Luft ein. «Warum hat Enver sie umgebracht?», fragt er.
    Kadris Gesicht erstarrt. Er hebt den Zeigefinger, und seine Augen blitzen wütend. «Enver ist eine Legende. Er macht, was er will. Da stellt man keine dummen Fragen. Man tut, was er sagt. Vergesst nie: Männern wie ihm haben wir es zu verdanken, dass wir jetzt ein eigenes Land haben. Ihr bleibt hier bei den Zottelstiefeln, wenn ihr wollt. Oder ihr geht zurück in den Kosovo. Aber dass ihr die Wahl habt, verdankt ihr Enver.
    Außerdem habe ich euch schon mal erklärt, dass Senka zu lange gewartet hat. Sie hat den richtigen Moment verpasst, um zu verhandeln. Schicksal. Könnte uns allen passieren.»
    Dann lehnt er sich wieder zurück und breitet die Hände aus.
    «Ich will das hier in Ordnung bringen.

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