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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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Sigrid hört die vor Schuldbewusstsein und Reue brüchige Stimme, untermalt von schrecklicher Einsamkeit. Kann der Doktor diesen Leuten helfen?
    Sigrid schaltet das Radio aus. Sie fährt mit den Händen übers Lenkrad. Streckt die Hand erneut nach dem Radio aus, schaltet es aber nicht mehr ein. Etliche Minuten sitzt sie einfach nur da, im dichten Verkehr, tut nichts.
    Dann ruft sie ihren Vater an.
    Das Telefon klingelt mindestens ein Dutzend Mal. Dann wird der Hörer – es ist ein alter, schwerer Apparat – von der Gabel genommen und prallt mehrmals auf eine Ablage, bis er das Ohr ihres Vaters erreicht. Bevor sie hallo sagen kann, fragt ihr Vater schon: «Sigrid. Was ist los?»
    «Nichts. Ich wollte dich nur anrufen.»
    «Hast du was auf dem Herzen?»
    «Ich wollte nur hören, ob es dir gutgeht.»
    «Meine Tochter. Wieder mal ganz sentimental.»
    «Ich bin so hart, wie du mich gemacht hast.»
    Ihr Vater lacht ein wenig, was sie zum Lächeln bringt, und dann hustet er ein wenig, und ihr Lächeln verschwindet.
    «Wenn du nächstes Mal kommst, musst du mir ein paar schwere Arbeitshandschuhe mitbringen. Ich mag die nicht, die sie hier verkaufen. Geh zu Clas Ohlson. Die haben gute. Und ich bräuchte ein paar Bücher. Es gibt ein neues über die Geschichte der Chinesen, habe ich in der
Aftenposten
gelesen. Es wurde dieses Jahr aus dem Französischen übersetzt. Bring mir das mit.»
    «Okay.»
    Es herrscht eine Weile Schweigen in der Leitung, das keiner von beiden befremdlich findet. Schließlich sagt Herr Ødegård: «Hast du mittlerweile einen netten Mann kennengelernt?»
    Sigrid nickt. «Wollte ich dir die ganze Zeit schon sagen. Ich habe geheiratet und bin Mutter von drei Söhnen.»
    «Das sind ja wunderbare Neuigkeiten.»
    «Tick, Trick und Track. Sie sind phantastisch, haben aber Schwierigkeiten beim Sprechen und ziemlich kurze Beine.»
    «Das kann eine ziemlich harte Schulzeit werden.»
    Wieder Schweigen. Sigrid setzt den Blinker und nähert sich dem Häuserblock, in dem sich der Mordfall ereignet hat.
    «Wo bist du?», fragt er.
    «Ich fahre zu einem Tatort.»
    «Wer ist noch dabei?»
    «Niemand. Es ist abgesperrt.»
    «War da viel los bis jetzt? Am Tatort?»
    «Ja, schon. Wir gehen ab und an noch mal hin, wenn wir irgendwas überprüfen müssen. Warum fragst du?»
    «Hast du deine Waffe dabei?»
    «Warum sollte ich eine Waffe brauchen?»
    «Tu mir einen Gefallen. Nimm deinen Gummiknüppel mit.»
    «Und wer von uns beiden ist jetzt der Sentimentale?»
    «Bitte tu’s trotzdem.»
    «Warum?»
    Herr Ødegård sagt: «Ein Reporter fragt einen Bankräuber: Warum hast du diese Bank ausgeraubt? Der Bankräuber antwortet: Tja, das ist nun mal der Ort, an dem das Geld liegt.»
    «Willie Sutton hat geleugnet, das je gesagt zu haben.»
    «Trotzdem stimmt es.»
    «Tschüs, Papa.»
    «Wiedersehen, Sigrid.»
    Ein Stück weiter oben an der Straße, einen halben Block entfernt, findet Sigrid einen Parkplatz, holt den Knüppel aus dem Kofferraum und schließt den Wagen ab. Sie trägt den Knüppel locker und geht ohne Hast, damit niemand auf den Gedanken kommt, etwas könne nicht stimmen.
    Sie öffnet die Vordertür des Gebäudes und geht an dem Stockwerk, wo sich das Verbrechen ereignet hat, vorbei, hinauf in die zweite Etage, wo die Frau mit ihrem Sohn wohnte. Sie schlüpft unter dem Absperrband hindurch, öffnet die Wohnungstür und geht hinein. Sigrid zieht ihre Schuhe aus, schaltet das Licht an und inspiziert jeden Raum, guckt, ob sie etwas Interessantes findet, irgendetwas, das in ihrem Bericht nicht erwähnt wurde.
    Dem Immobilienmakler zufolge hat die Wohnung eine Fläche von siebenundsechzig Quadratmetern. Gleich hinter der Eingangstür befindet sich ein kleiner Flur, von dem ein Badezimmer abgeht. Links ist das Schlafzimmer, mit dem sie beginnt.
    Die Wohnung ist offiziell versiegelt worden, da sie von zentraler Bedeutung für die Ermittlung ist, sie wurde bereits von Tomas und einer neuen Forensikspezialistin namens Hilde eingehend untersucht. Bisher hat Hilde gute Arbeit geleistet, obwohl sie einen nervösen Diensteifer an den Tag legt, der mit zu großem Respekt vor Autoritäten einhergeht; keine besonders gute Eigenschaft für eine Mitarbeiterin der Spurensicherung.
    In einem Ordner hat Sigrid Abzüge der Fotos, die hier an Ort und Stelle aufgenommen wurden, und Zusammenfassungen der bereits abgeschlossenen Berichte, die sehr sorgfältig waren. Aber Sigrid möchte das Ganze trotzdem mit eigenen Augen sehen – um ein

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