Ein seltsamer Ort zum Sterben
einem silbernen Schloss an der Vorderseite. Die Mittagssonne beleuchtet den Boden, das Kästchen ist gut zu sehen.
Sie streckt die Hand aus und zieht es hervor.
Immer noch kniend, fummelt sie an dem Schloss. Es lässt sich nicht öffnen. Mit ihrem Leatherman-Messer könnte sie es leicht aufbrechen, aber das eilt nicht.
Sigrid schaut noch einmal auf die Frau in dem Bilderrahmen – auf ihre weißen Sneakers, ihre schmale Armbanduhr, den weißen Kragen, der unter dem Pullover mit V-Ausschnitt hervorlugt. Sie hat ein breites Lächeln. Die Welt steht ihr offen. Das Foto muss in den späten 1950 er Jahren aufgenommen worden sein. Sheldon war zurück aus Korea. Ihr Sohn war damals vermutlich fünf oder sechs Jahre alt. Sie hatte eine tolle Figur, eine natürliche Anmut. Die schlimmen Dinge in ihrem Leben hatten sich noch nicht ereignet.
Könnte dieses Kästchen ihr gehört haben?
Sigrid zückt einen kleinen schwarzen Notizblock und blättert rasch zu dem Verhör von Rhea und Lars.
Da. Ihr Mann war Uhrmacher und Antiquitätenhändler.
Sie schaut wieder auf das rosa Schmuckkästchen.
Auf keinen Fall.
Und dann fällt ihr ein, was sie oben übersehen hat. Sie hat vergessen, nach einem Gegenstand zu suchen, zu dem der Schlüssel passte, den Senka bei ihrem Tod in der Hosentasche hatte.
Hatten alle Kollegen vergessen, dies zu überprüfen? Falls dem so war, würde sie ihnen was erzählen …
Wenn der zu dem Schlüssel passende Gegenstand hier in der Wohnung war, in der sie ermordet wurde, hatte sie ihn entweder mit heruntergenommen, oder er war bereits vorher für sie hier aufbewahrt worden. Das allerdings hätte bedeutet, dass Rhea und Lars sie angelogen hatten und die beiden Senka doch persönlich kannten. Aber das hielt sie für unwahrscheinlich. Vielmehr scheint Senka das Kästchen hierhergebracht zu haben, bevor sie getötet wurde. Sie hat es versteckt. Der Killer wollte es haben. Das Ding musste einer der Gründe sein dafür, dass sie ermordet wurde. Sie hatte versucht, sich und den Inhalt zu schützen. Sie kämpfte um ihr Leben, während ihr kleiner Junge sich ganz in seiner Nähe im Schrank versteckte.
Was immer sich darin befindet – es muss wichtig sein.
Das ist Sigrids letzter Gedanke, bevor ein harter Gegenstand sie am Kopf trifft und sie bewusstlos zur Seite kippt.
14. Kapitel
Kadri hält seine riesige Maglite in der Hand und schaut auf die Polizistin hinunter, die er gerade niedergeschlagen hat. Er schlägt Frauen nicht gern, und diese hier hat es bestimmt nicht verdient. Aber richtig nahe geht ihm das nicht. Er braucht dieses Kästchen, und er ist sich ziemlich sicher, dass sie es nicht herausgerückt hätte, wenn er sie darum gebeten hätte.
«Du hättest im Schrank nachsehen sollen», sagt er zu ihr auf Englisch. «Du hast hinterm Duschvorhang nachgeguckt, aber nicht im Schrank. Wer würde sich in einer Dusche verstecken? Alle kommen sie in der Dusche um. Gehst du nie ins Kino?
Psycho.
Tod in der Dusche. Der Mexikaner in
No Country for Old Men
. Stirbt in der Dusche. Michelle Pfeiffer in
Schatten der Wahrheit
stirbt beinahe in der Dusche oder zumindest im Bad. Aber dann macht sie das mit der Zehe und kommt davon. Aber es ist immer die Dusche!»
Er schaut einen Augenblick auf seine Füße. Dann sagt er: «Glenn Close in
Eine verhängnisvolle Affäre
. Tot in der Dusche. John Travolta in
Pulp Fiction
. Sehr tot in der Dusche. Aber nie im Schrank. Mir fällt niemand ein, der im Schrank erschossen wurde. Deshalb verstecke ich mich in Schränken.»
Kadri kratzt sich am Bauch. «Also dann. Ich nehme die Schatulle und gehe Kaffee trinken. Gute Besserung!»
Kadri checkt ihren Puls, überzeugt sich, dass sie am Leben ist, nimmt das Schmuckkästchen und spaziert durch die Wohnungstür hinaus. Er geht die Straße hinauf, an dem Polizeiwagen vorbei, steigt auf seine Vespa und fährt direkt zur nächstgelegenen
Kaffebrenneriet
, um sich ein Gebäckteilchen zu holen.
Gut, dass die Sache zu laufen scheint. Burim infiltriert die Serben mit mehr als nur seinem Penis und wird mit wertvoller Information zurückkehren. Gjon besorgt die Waffen, um die Enver gebeten hat. Das Schmuckkästchen – und was auch immer es enthalten mag – ist nun wieder in ihrem Besitz.
Die Sonne scheint, und die Luft ist trocken und erfrischend. Wenn man sie sich zufächelt, kann man den Sommer regelrecht einsaugen und seinen Frieden, seine Heiterkeit spüren. Genau das, was ein gestandener Mann braucht.
Und es ist friedlich. An
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