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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek B. Miller
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leisten, lassen wir uns die Butter vom Brot nehmen. Wir verlieren den Boden, den wir mühsam gewonnen hatten.»
    «Und was zum Teufel, glaubst du, geht da draußen ab?» Saul reibt sich das Gesicht.
    «Was da abgeht? Amerika ist im Krieg. Und anstatt dass wir uns auf die Seite unseres Landes stellen, reden wir hier wie die Kommunisten.»
    «Dad, dieses Land ist in einem saumäßigen Zustand. Man muss versuchen, es irgendwie besser zu machen. Und außerdem müssen wir niemandem mehr etwas beweisen. Ich bin hier geboren. Du bist hier geboren. Deine Eltern sind hier geboren. Wie amerikanisch sollen wir denn noch werden?»
    «Es gibt immer noch Firmen an der Wall Street, die uns nicht einstellen würden. Es gibt Anwaltskanzleien, die uns nicht wollen.»
    «Im Süden töten sie noch immer unschuldige Schwarze.»
    «Dieses Land hat noch jede Menge zu tun. Das weiß ich doch. Aber wir haben auch noch jede Menge zu erledigen. Uns auf uns selbst zu besinnen zum Beispiel.»
    «Was hast du in Korea gemacht?»
    «Ich habe getan, was man mir sagte.»
    «Mom meint, du wärst in der Schreibstube gewesen.»
    «Mom sagt genau das, was ich möchte, dass sie sagt.»
    «Du findest also, dass Männer über so etwas nicht reden. Mit wem redest du dann? Was ist mit Bill?»
    «Bill war auch dabei.»
    «Aber nicht bei dir.»
    «Nein. Er war bei einer Panzerdivision. Er war irgendwo anders. Wir haben uns erst danach kennengelernt. Auf der Straße. In der Nähe der Läden.»
    «Sprichst du mit Bill?»
    «Jeden Tag. Ich krieg ihn gar nicht raus aus meinem Laden. Ich muss abschließen. Und wenn ich das tue, dann ruft er mich eben an.»
    «Vielleicht ist er ein bisschen verknallt in dich.»
    Sheldon schnaubte entrüstet. «Was ihr heutzutage für ein Zeug daherredet!»
    «Alles schon vorgekommen.»
    «Ihr dreht und wendet die Dinge, wie sie euch in den Kram passen, und dann besteht ihr darauf, recht zu haben, und behauptet, alle anderen seien blind. Das ist genau das, was die Kommunisten machen!»
    «Ich weiß nicht, wer die Kommunisten sind, Dad.»
    «Das waren die, die auf dich geschossen haben. Die dich versklaven wollen, indem sie dich mit ihrer Ideologie infiltrieren. Die Leute in den Gulag stecken, nur weil sie wie freie Menschen leben wollten.»
    «Alle haben auf mich geschossen. Ich weiß nicht, weshalb.»
    «Du klingst wie Mario.»
    «Wer ist Mario?»
    «Spielt keine Rolle.»
    «Wer ist Mario?»
    «Ein Freund.»
    «Jemand, den ich kenne?»
    «Er starb, bevor du geboren wurdest.»
    «Ich habe viel gesehen, Dad. Ich habe viel getan.»
    «Ich weiß. Hast du Hunger? Möchtest du Kaffee?»
    «Ich glaube, ich möchte dir erzählen, was ich getan habe.»
    «Ich will es nicht wissen.»
    «Weshalb nicht?»
    «Weil du mein Sohn bist, deshalb.»
    «Und ich möchte es dir erzählen, weil du mein Vater bist und es vielleicht verstehen kannst.»
    «Dein Land ist dir dankbar, allein darauf kommt es an.»
    «Mein Land ist mir nicht dankbar, und es kommt überhaupt nicht darauf an. Ich muss mir jetzt überlegen, was ich hier mache.»
    «Du brauchst eine Ablenkung.»
    «Uhren reparieren vielleicht?»
    «Was ist daran so schlimm?»
    «Du kannst die Zeit nicht anhalten, Dad.»
    «Du solltest etwas essen. Dünn bist du geworden! Und kränklich siehst du aus.»
    «Ich bin kränklich.»
    Sheldon sagte nichts.
    «Wo ist Mom?»
    «Schläft.»
    Saul hievte sich aus den Sofakissen und ging die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal. Sheldon rührte sich nicht. Zehn Minuten lang saß er da und wartete darauf, dass Saul wiederkam. Er nahm an, dass Saul bei seiner Mutter war. Erst Jahre später erfuhr er, dass Saul nach oben gegangen war und einfach nur dagesessen hatte. Durchs Geländer gestarrt hatte, wie damals als kleiner Junge, als er sehen wollte, wer an der Tür geklingelt hatte oder in welcher Stimmung Dad war, wenn er von der Arbeit nach Hause kam.
    Nachdem er wieder heruntergekommen war, setzte er sich seinem Vater gegenüber in den Ohrensessel, in dem seine Mutter oft mit einem Buch oder vor dem Fernseher saß.
    «Und wie ist es dir gegangen?», fragte er seinen Vater.
    «Mir? Ich habe hart gearbeitet. Hab meine Sache durchgezogen. Versucht, mich aus allem rauszuhalten.»
    «Ja, ja, aber wie ist es dir gegangen?»
    «Habe ich dir doch gerade gesagt.»
    «Was hast du gedacht, als du aus dem Krieg in Korea zurückgekommen bist?»
    «Warum fragst du?»
    «Weil auch ich gerade aus einem Krieg nach Hause zurückkomme und gerne wüsste, was du dir so

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