Ein silbernes Hufeisen
Guinievaire diesen bewundern, während sie gemeinsam mit Alex auf der Terrasse saß, der Wein trank und die Zeitung las. Ständig machte er dabei abfällige Kommentare für sie, der London immerhin schrecklich lange entgangen war. Meist hörte sie ihm jedoch nicht wirklich aufmerksam zu. Vielmehr hatte sie das Kinn in die Hand gestützt und beobachtete ihn und dachte nach, wenn sie nicht von dem vollendeten Panorama abgelenkt wurde. War er nicht seltsam, wie unverändert und unbekümmert er sich benahm? Die letzten Tage war er sein absolut vollkommenstes Selbst gewesen ihrer alten Tante gegenüber, die deshalb entzückt gewesen war von ihm und ihre Nichte daher stets ermahnt hatte, dankbar zu sein für diesen edlen Herren und artig zu tun, was ihm gefiel. Dies wiederum bereitete Alexander vermehrte Freude, der jedwede Gelegenheit wahrnahm, um Guinievaires Hand mit dem falschen Verlobungsring zu halten, sie zu küssen und immer wieder von ihrer angeblichen gemeinsamen Zukunft zu sprechen. Natürlich machte dies Guinievaire nicht eben weniger misstrauisch, als sie es von Beginn an gegenüber ihrem geliebten Lord gewesen war, zugleich war er jedoch auch herrlich erträglich, wie er derzeit war, und dann war er immer noch ihr Alex und sie hatte ihn so lange vermisst. Egal was er vorhatte, sagte sie sich oftmals, es lag allein an ihr, seine Pläne zu vereiteln. Solange sie nicht tat, was er wollte – Guinievaire wusste meist genau, was dies war – musste er scheitern. Wie er sie ansah, wie er lächelte, als wäre er sich bereits sicher, als hätte er bereits gewonnen, ohne dass sie ein Wort über alles verloren hatten, es war beinahe unverschämt. Sie war nicht gut auf ihn zu sprechen, beschloss sie, aber er sah auch sehr hübsch aus und dankbar war sie ihm auch. Es war wie immer sehr schwer mit Alex.
Wobei es in anderen Bereichen ihres bemerkenswert unerfreulichen Lebens auch nach ihrer Befreiung ebenfalls nicht sonderlich einfacher geworden war: da war Marion zum Beispiel, den sie in den letzten einsamen Wochen in ihrem Verlies mit voller Absicht und rücksichtslos, wie sie es sein konnte, wenn sie sich langweilte, verliebt in sich gemacht hatte und den sie ebenso sehr benutzt hatte als letzten Anker, der sie davor bewahrte, verrückt zu werden in ihrer Isolation. Er war noch hier und schnitt die Rosen – oder zumindest gab er dies vor, um tatsächlich lauschen zu können – und wenn Guinievaire ihn bei seiner Arbeit beobachtete, konnte sie von Alex fortsehen, dann musste sie sich auch zu ihm viele, unbequeme Fragen stellen. Was er nun von ihr halten musste, wo Alex hier war und sie sich scheinbar mit ihm verlobt hatte? Marion hatte die einzig klare Sicht auf Guinievaire, neben Vicky womöglich. Deswegen war es ihr meist außergewöhnlich wichtig, dass er gut von ihr dachte, was jedoch zugleich unmöglich schien. Womöglich konnte man keine gute Meinung von ihr haben.
„William hat ein Mädchen kennengelernt,“ erzählte Alex derweil, der wohl von einem der Artikel an seinen mächtigen Freund erinnert worden war. Guinievaire blickte ihn an und lächelte beim Gedanken an ihre lange vermisste Clique.
„Endlich werden deine kindischen Männer vernünftig,“ seufzte sie zufrieden. „Ist sie breit gebaut? Ich hätte ein wenig Angst, von Will erdrückt zu werden.“
Alex zuckte die perfekt gekleideten Schultern. „Dir wird sie ganz bestimmt nicht gefallen, Engel. Aber immerhin wirst du dich kaum mit ihr beschäftigen müssen, nicht wahr?“ endete er etwas spitz und trank mit einem herausfordernden Blick.
Beinahe wäre Guinievaire dumm genug gewesen, um ihn zu fragen, warum sie dies nicht musste, aber in letzter Sekunde besann sie sich eines Besseren. Natürlich wollte er darauf hinaus, dass sie vorhatte, Tony zu heiraten, wie es meistens seine Absicht war, also drehte sie einfach den Kopf und sah hinab zu Marion, der nach wie vor über die prächtig gelben Büsche im Zwielicht gebeugt war. Bevor sie zu Bett ging, hatte sie noch mit ihm sprechen wollen, aber zunächst war es dazu wichtig, Alex loszuwerden, von dem sie nicht überwacht werden mochte bei diesem wichtigen, letzten Gespräch.
„Wir müssen morgen sehr früh aufstehen,“ überlegte sie daher laut für ihren besten Freund, der missmutig unter dem hübsch verzierten, inzwischen nutzlosen Sonnenschirm saß. „Ich bin nicht böse, wenn du dich schon hinlegst.“ Dies war ein kläglicher Versuch, den Alex mit einem kurzen Blick sofort als solchen
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